Julia Collection Band 27
waren. Doch die Zwerge in Andreas Klasse waren zweifellos süß gewesen, und es war offensichtlich, dass Andrea jedes einzelne dieser Kinder liebte. Wieso hatte sie dann keine eigenen?
Keith musste sich eingestehen, dass er Andrea in den letzten achtzehn Jahren zwar nicht aus den Augen verloren hatte, eigentlich aber nichts wirklich Wichtiges von ihr wusste. Hatte sie zum Beispiel Jerry O’Rourke wirklich geliebt?
„Verdammt!“, stieß Keith aus. Frustriert stand er auf, brachte sein Glas in die Küche und ging dann in den ersten Stock seiner riesigen Villa, wo sein Schlafzimmer war. Als er im Bett lag, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, kam er zu einer Entscheidung. Er würde sich durch Andreas Widerstand nicht aufhalten lassen. Noch nicht jedenfalls. Sie war noch immer sauer wegen des Auseinanderbrechens ihrer Beziehung, was ihm lächerlich vorkam angesichts der langen Zeit, die inzwischen verstrichen war. Aber Frauen waren merkwürdig in Bezug auf Dinge, denen Männer kaum Notiz schenkten.
Also würde er ihr so viel Zeit geben, wie sie brauchte, um ihre Meinung zu ändern. Dass es dazu kommen würde, davon war er überzeugt. Sie war zu intelligent, um solch einen törichten Groll mit ins Grab zu nehmen.
Zufrieden mit sich und seiner Entscheidung lächelte Keith, drehte sich auf die Seite und schloss die Augen.
Andrea seufzte, als Keith erneut in ihren Klassenraum marschiert kam. Hatte er gar nichts mehr von seinem früheren Stolz? Sie hatte sich doch gestern wohl mehr als deutlich ausgedrückt. Wenn jemand ihr so unmissverständlich zu verstehen gegeben hätte, dass sie nicht erwünscht sei, dann wäre sie bestimmt nicht am nächsten Tag wieder aufgekreuzt.
Keith lächelte sie an, bevor er wieder zu einem der winzigen Stühle ging. Andrea erwiderte sein Lächeln nicht. Am liebsten hätte sie das Buch, das sie in der Hand hielt, nach ihm geworfen. Was sollte sie nur tun?
Die Kinder wurden langsam unruhig, und plötzlich kam ihr eine Idee. „Kinder“, sagte sie ruhig. „Wie wäre es, wenn Mr. Owens euch heute mal etwas vorliest?“
„Ja!“, riefen sie begeistert.
Keith wusste, jetzt hatte sie ihn. Das war sozusagen eine Art Kriegserklärung. Doch statt sich in die Enge getrieben zu fühlen, erwachte auf einmal seine jugendliche Energie.
Mit hochgezogener Augenbraue und einem teuflischen Funkeln in den dunklen Augen kam er nach vorn und nahm das Buch, das Andrea ihm reichte. Bevor er jedoch einen Blick darauf warf, flüsterte er ihr zu: „Ich nehme deine Herausforderung an.“
„Meine was?“, fragte Andrea verwirrt.
Er ignorierte ihre Frage. „Du hast immer zum Anbeißen ausgesehen – besser gesagt zum Küssen –, wenn du rot wurdest. So, dann wollen wir uns das Buch mal anschauen.“
Andrea hätte ihn am liebsten geboxt. Er brachte sie schrecklich auf die Palme.
„Es wurde für Vorschüler geschrieben, ich denke also, dass auch du es verstehen wirst“, erklärte sie eisig.
„Hm“, murmelte Keith und betrachtete die Umschlagseite. „Ja“, fügte er hinzu, „das werde ich wohl. Sollen wir anfangen?“
„Setz dich dorthin“, meinte Andrea und zeigte auf einen Stuhl. Während Keith gehorchte, setzte sie sich hinter ihr Pult. Er begann zu lesen, und die Kinder starrten ihn mit großen Augen an.
Schon nach wenigen Sätzen erkannte Keith, dass die Kinder die Geschichte auswendig kannten, denn jedes Mal, wenn er die Laute vorlas, die die einzelnen Tiere von sich gaben, stimmten sie lauthals ein. Mit immer mehr Spaß an der Sache imitierte Keith die Tiere, und als die Kinder kicherten, weil er so lustig klang, lachte er mit ihnen.
Andrea tat so, als wäre sie beschäftigt, doch sie beobachtete Keith und die Kinder sehr genau. Sie hatte ihn noch nie mit kleinen Kindern erlebt, aber der Keith, den sie auf dem College gekannt hatte, hätte keinen Spaß daran gehabt, ihnen etwas vorzulesen. Und schon gar nicht hätte er etwas getan oder gesagt, was jemanden dazu veranlassen könnte, über ihn zu lachen – schon gar nicht kleine Kinder!
Sie spürte, dass etwas in ihr schrumpfte; es war ihr lange gehegter Groll Keith gegenüber. Du wirst weich, und das nur, weil er mit den Kindern herumalbert und sie ihn mögen! Sei kein Narr, Andrea. Er ist immer noch derselbe Mann, der dir damals das Herz gebrochen hat.
Aus dem Nichts heraus überkam sie ein schmerzhaftes, unbekanntes Verlangen zu weinen, wegen all der Dinge, die hätten sein können. Das Gefühl machte ihr Angst. Ihr ging es
Weitere Kostenlose Bücher