Julia Collection Band 61 (German Edition)
fest entschlossen, sich von Annie fernzuhalten. Er war sogar zu dem Schluss gekommen, dass er sie nach dem Hurrikan würde entlassen müssen. Bevor es zu spät war.
Annie stellte das Dessert auf den Tisch und schenkte Kaffee ein. Dann setzte sie sich, nahm einen Löffel und schob sich einen Bissen des Desserts in den Mund, wobei sie die Augen schloss. „Das ist der absolute Luxus. Meine Mutter würde diesen verschwenderischen Genuss geradezu als Sünde bezeichnen.“
Auch ein Weg, in die Hölle zu kommen, dachte Nick. Er musste Annie zum Sprechen bringen, denn dazusitzen und zuzusehen, wie sie sich den süßen Eischaum genüsslich von den Lippen leckte, würde ihn direkt zum Teufel bringen.
„Erzählen Sie mir von Ihrer Mutter“, sagte er und schob den Teller von sich. „Erzählen Sie mir von der ganzen Familie.“
Annie starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. „Von allen? Das kann seine Zeit dauern.“
„Tatsächlich? Wie viele sind es denn genau?“
„Ich habe Ihnen ja schon gesagt, dass ich drei Brüder und drei Schwestern habe, die alle älter als ich sind. Meine Mutter hat neun Geschwister, und mein Vater ist das jüngste von dreizehn Kindern. Bisher habe ich neun Nichten und Neffen und sechzig Cousins und Cousinen.“
„Das ist allerdings eine Menge. Ich bin Einzelkind, habe allerdings ein paar Cousins und Cousinen, die in den USA leben. Aber so eine Riesenfamilie wie Sie sie haben, kann ich mir gar nicht vorstellen. Leben sie alle in Boston und Umgebung?“
„Die meisten“, sagte Annie, schob ihren leeren Teller zur Seite und trank einen Schluck Kaffee. „Zwei meiner Cousins sind beim Militär und waren eine Zeit lang außer Landes. Aber nach ihrem Dienst sind sie wieder nach Boston zurückgekehrt und haben sich in der Gegend angesiedelt. Ich habe auch noch einen wagemutigen Onkel, der zurück nach Irland gegangen ist. Er behauptet, ohne die irische Luft nicht leben zu können.“
„Das ist interessant. Haben Sie selbst auch mal daran gedacht, in Irland zu leben?“
„Ich? Um Himmels willen, nein. Da hätte ich ja gleich zu Hause bleiben können. Jeder kennt jeden und mischt sich in dessen Angelegenheiten ein.“
„Ist das so in Ihrer Familie?“
„Ein bisschen. Dabei meint es keiner böse. Man kennt sich nur so gut, dass man weiß, was der andere vorhat. Und wenn einem das nicht passt, versucht man, ihn daran zu hindern. Meine Mutter ist in der Beziehung am schlimmsten.“ Sie schüttelte leicht den Kopf und grinste.
„Meine Mutter ist auch neugierig.“
„Ihre Mutter?“ Annie lachte laut los. „Verglichen mit meiner Mutter ist sie eine Heilige.“
Jetzt musste auch Nick lachen. Schon lange war er nicht so entspannt gewesen. Annie war wirklich ein Goldstück, oder wegen ihrer grünen Augen besser noch ein Smaragd, den er besitzen wollte. „Erzählen Sie mir von Ihren Geschwistern. Wie war es, mit so vielen Schwestern und Brüdern aufzuwachsen?“ Er musste unbedingt auf andere Gedanken kommen.
Sie zuckte mit den Schultern. „Das hat seine guten und seine schlechten Seiten.“
„Was ist gut daran?“
„Man ist nie allein.“
„Das ist schön. Und was ist schlecht daran?“
„Man ist nie allein.“ Sie grinste verschmitzt.
Nick lächelte, aber Annie sah, dass es kein heiteres Lächeln war. Sie wusste, dass er einsam war. Er hatte sich auf seiner Insel verkrochen und seit dem Tod seiner Frau viel Zeit allein verbracht. Sie spürte seinen Schmerz.
Aber sie wusste, dass sie nicht diejenige war, die ihn aus seiner Einsamkeit erlösen konnte. Er brauchte eine blonde Märchenprinzessin aus guter Familie und nicht ein rothaariges Mädchen, das in der armen Gegend von Boston aufgewachsen war.
„Warum sind Sie eigentlich immer allein?“, fragte sie schließlich sehr direkt. Sie wollte ihn unbedingt aus seiner Melancholie herausholen. „Sie kommen mir wie ein Prinz vor, den eine böse Fee verzaubert hat. Warum haben Sie keine Freunde und … Freundinnen? Das kann ich einfach nicht begreifen.“
„Die einzige Freundin, die ich hatte und die ich dann auch geheiratet habe, ist gestorben“, sagte er leise. „Ich würde die Erinnerung an sie beschmutzen, wenn ich …“ Er stockte und blickte Annie schuldbewusst an.
„Sie brauchen mir das nicht zu erzählen, Nick. Ob ich Sie verstehe oder nicht, ist vollkommen unwichtig. Es ist Ihr Leben.“ Sie sah, wie er kurz die Augenbrauen zusammenzog. „Aber ich kann gut zuhören. Das sage ich nur, falls Sie sich mal
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