Julia Exklusiv 0180
geduldiger und verständnisvoller Vater zu sein, wie seiner es einst für ihn gewesen war.
Aber es ging nicht nur darum, das Verhältnis zu seiner Tochter zu verbessern. Vor allem musste er sich schnellstens darüber klarwerden, was er mit den ihm nach Marks Tod als Erbe zugefallenen zehntausend Morgen Land und dem alten Steinkasten anfangen sollte, der in einschlägigen Reiseführern als „klassisches Beispiel eines feudalen englischen Herrensitzes“ bezeichnet wurde.
Leute, die so etwas schreiben, sollte man dazu verdammen, einmal eine Nacht in diesem zugigen alten Gemäuer zu verbringen, dachte Rob verärgert. Sein Onkel Hector war ein elender Geizkragen gewesen und hatte so gut wie nichts zur Erhaltung des jahrhundertealten Familienbesitzes getan.
Nun glich Ratcliffe Hall einem gefräßigen grauen Elefanten, der kaum satt zu bekommen war. Allein die Sanierung der bröckelnden Außenmauer, des undichten Daches und morschen Gebälks würde Unsummen verschlingen, und die dringend notwendige Modernisierung der sanitären Anlagen kostete ebenfalls ein Vermögen. Ganz zu schweigen von der hohen Erbschaftssteuer, die bei jedem Besitzerwechsel neu erhoben wurde. Mark war ein liebenswerter Chaot gewesen, der sich um solche Dinge nicht gekümmert hatte, und nun musste Rob erst einmal den Nachlass seines Bruders ordnen, ehe er sich einen Überblick über die anfallenden Kosten verschaffen konnte.
Allerdings bereiteten ihm weniger die Finanzen Kopfzerbrechen. Sein Problem war vielmehr, dass er absolut nichts von Landwirtschaft verstand und keine Ahnung hatte, wie man ein so riesiges Gut verwaltete. Er war ein Großstadtmensch.
Aus den Augenwinkeln nahm Rob eine Bewegung am Strand wahr und wandte den Kopf.
„Pünktlich wie ein Uhrwerk“, murmelte er, als er in einiger Entfernung eine Gestalt am Wasser entlangwandern und dann hinter einer Palmengruppe verschwinden sah. Die geheimnisvolle Unbekannte wohnte einige Bungalows weiter und tauchte jeden Nachmittag zur selben Zeit am Strand auf, verschwand hinter Palmen und kehrte nach genau einer Stunde wieder zurück.
Wollte sie sich nur ungestört sonnen? Oder im warmen Sand sitzen und aufs Meer hinaussehen. Möglicherweise schnorchelte sie aber auch im Korallenriff? Vielleicht sollte er ebenfalls …
Du hast jetzt wirklich Besseres zu tun, als fremden Frauen nachzuspionieren, rief Rob sich verärgert zur Räson.
Nach der Teilnahme an einem internationalen Juristenkongress in Manila hatte er sich spontan zu einer Woche Urlaub auf den Philippinen entschlossen, um in Ruhe über seine Probleme nachdenken zu können. Und er hatte mit Absicht diese exklusive kleine Privatinsel gewählt, die nur mit dem hoteleigenen Flugzeug erreichbar war und den Gästen völlige Abgeschiedenheit bot. Es war also geradezu lächerlich, dass er sich nun wie ein unreifer Junge in unsinnigen Spekulationen über die Unbekannte erging.
Zugegeben, es war etwas sonderbar, dass jemand sich in dieser Hitze von Kopf bis Fuß in wallende Gewänder hüllte und das Gesicht unter einem breiten Schlapphut verbarg. Nicht gerade die typische Strandbekleidung für eine junge Frau am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts.
Schon allein wegen ihres exzentrischen Hutes war Rob sicher, dass es sich um eine Frau handelte. Und sie musste auch noch relativ jung sein, da sie sich selbst in diesem unmöglichen Aufzug noch mit erstaunlicher Grazie bewegte und federnden Schrittes am Wasser entlangging. Aber warum, zum Teufel, verkleidete sie sich als Vogelscheuche?
Dafür konnte es vielerlei Gründe geben. Rob fand es am wahrscheinlichsten, dass sie in irgendeiner Weise berühmt war und unerkannt bleiben wollte. Falls ja, unterschied sie sich wohltuend von den meisten prominenten Persönlichkeiten, die er während seiner kurzen Ehe mit einem bekannten Model kennengelernt hatte. Seiner Erfahrung nach sonnten sich gerade Berühmtheiten nur zu gern im Glanz der Öffentlichkeit und genossen Auftritte vor großem Publikum.
Wieso verhielt sich diese Frau so völlig anders? Welches Geheimnis verbarg sich …?
„Vergiss es!“, sagte Rob laut. „Du hast jetzt wirklich andere Sorgen.“ Er stellte sein leeres Glas ab und ging zu dem in einer Ecke stehenden Tisch, auf dem ein Wust von Papieren ausgebreitet war. Seufzend setzte sich Rob, fest entschlossen, in das Chaos Ordnung zu bringen.
In gemächlichem Tempo schnorchelte Lois dicht unterhalb der Wasseroberfläche durch die verborgene Wunderwelt des Riffs. Obwohl sie während
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