Julia Exklusiv 0227
hinüber.
„Nikos?“ Die tiefe, raue Stimme mit dem griechischen Akzent kam ihm bekannt vor und gehörte nicht hierher.
Nikos drehte sich um.
Sein Vater stand hinter ihm und stützte sich auf einen Stock. Sein Atem ging kurz und flach, ihm standen Schweißperlen auf der Stirn, und sein Gesicht war blass.
„Was, zum Teufel …?“ Nikos schüttelte den Kopf. „Was tust du hier? Du solltest im Krankenhaus liegen!“
„Ich wurde auf eigenen Wunsch entlassen.“
„Warum? Willst du dich umbringen?“ Nikos nahm seinen Vater am Arm und führte ihn zu einem Stuhl. Er setzte sich nicht neben Stavros, sondern stand wütend und mit Herzklopfen vor ihm.
„Setz dich!“, befahl Stavros und deutete auf den Stuhl neben sich.
„Ich will es aber nicht. Später sitze ich noch lange genug.“
Stavros blickte auf und sah Nikos direkt an. „Setz dich!“
Nikos knirschte mit den Zähnen und wippte, während er seinen Vater wütend ansah, unruhig auf den Fersen. Dann erst folgte er der Aufforderung.
„Gut.“ Stavros nickte und atmete tief durch. „Ich bin gekommen, um dir eine Geschichte zu erzählen.“
„Eine Geschichte?“, wiederholte Nikos ungläubig. „Du bist vom Krankenhaus zweieinhalb Stunden hierher gefahren, um mir eine Geschichte zu erzählen?“
„Thomas saß am Steuer“, gestand Stavros. „Ich erzähle.“
„Dann fang an, verdammt noch mal! Und danach fährst du nach Hause und legst dich ins Bett. Du willst doch nicht sterben, oder? Du musst dich um deine kleinen Kinder kümmern.“
„Das würdest du übernehmen“, sagte Stavros voller Überzeugung und sah Nikos gelassen an, beinahe heiter.
„Bist du dir da so sicher?“
„Ja.“ Stavros lächelte leicht. „Ich habe dich und Alex beobachtet.“
Nikos senkte den Blick. „Er ist ein guter Junge.“
„Wie sein Bruder.“
Nikos sah seinen Vater skeptisch an. „Hast du deine Meinung über mich geändert?“
„Ja.“ Es war nur eine Feststellung. Er wäre nicht Stavros Costanides gewesen, wenn er sich bei Nikos entschuldigt hätte. Trotzdem verspürte Nikos Genugtuung.
„Jetzt erzähle ich dir die Geschichte“, sagte Stavros. Er blickte aus dem Fenster und beobachtete die Flugzeuge, während er sprach. „Es geht um einen jungen Mann mit großen Plänen und um die Frau, die er liebte. Ich erzähle dir von mir und deiner Mutter.“
Nikos sagte nichts. Er glaubte, sich verhört zu haben. Wollte Stavros damit wirklich behaupten, dass er Angelika geliebt hatte?
„Es war eine arrangierte Ehe“, protestierte er.
„Nein, das stimmt nicht“, sagte Stavros. „Angelika sollte einen anderen Mann heiraten, der aus ihrer Gesellschaftsschicht stammte. Nicht so einen Emporkömmling wie mich. Einen richtigen Griechen, keinen Emigranten, der sein Land im Stich gelassen hatte. Das war jedenfalls die Meinung ihres Vaters.“ Stavros schüttelte den Kopf. „Manchmal tröste ich mich mit dem Gedanken, dass es nicht anders gekommen wäre, wenn sie den anderen Mann geheiratet hätte. Aber ich weiß es nicht.“
„Wovon sprichst du?“ Für Nikos ergab das alles keinen Sinn. „Willst du damit andeuten, dass du sie einem anderen Mann weggenommen hast?“
„Ich liebte sie“, antwortete Stavros ruhig. „Und sie liebte mich. Sie sagte ihrem Vater, dass sie sich weigern würde, einen anderen als mich zu heiraten. Angelika konnte sehr überzeugend sein“, fügte er wehmütig hinzu.
Das konnte Nikos bestätigen. Seine Mutter hatte es immer fertiggebracht, ihren Willen durchzusetzen, und zwar auf liebevolle, sanfte Art. Hatte Stavros sie wirklich geliebt? Nikos wusste nicht mehr, was er denken sollte.
„Es war eine wunderbare Ehe“, fuhr Stavros mit leerem Blick fort und klang beinahe verträumt. Nikos vermutete, dass er an seine Jahre mit Angelika zurückdachte. „Wir haben zusammengearbeitet und viel Spaß gehabt. Wir liebten einander. Und nach zwei Jahren wurde unser Leben noch schöner, als unser Sohn geboren wurde.“ Stavros schien für einen Moment in die Gegenwart zurückzukehren und sah Nikos an. „Ein vollkommener Sohn.“ Er lächelte traurig.
Sein Vater hatte ihn für vollkommen gehalten? Vielleicht früher einmal … vor vielen Jahren.
„Ich habe dich überallhin mitgenommen“, sagte Stavros. „Zur Arbeit, an den Strand, aufs Boot. Du hast sehr gern gesegelt.“
Nikos erinnerte sich nicht daran, mit seinem Vater gesegelt zu sein. Er sah sich im Boot sitzen und warten … warten … Er musste noch sehr klein gewesen
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