Julia Exklusiv 0227
erben. Aber ihre Mutter Liz hatte gerade eine Brustkrebsoperation hinter sich, und Julia brauchte Geld, um die teure Therapie zu bezahlen, die der Arzt empfohlen hatte.
Jetzt straffte sie die Schultern und betrat die Eingangshalle des Gebäudes. Ihrer Meinung nach stand ihrer Mutter das Geld zu. Es war die alte Geschichte. Liz hatte sich als naive Achtzehnjährige bei einem Polospiel in den Cotswolds in den attraktiven Carlos Diez verliebt. Er war Polospieler gewesen und viel älter als Liz. Innerhalb weniger Monate war sie schwanger geworden. Sie hatten geheiratet und ihre Tochter Julia bekommen. Carlos hatte seine Frau und das Baby mit auf seine Hazienda in Chile genommen. Die Ehe war jedoch nach nur sechs Monaten zerbrochen.
Liz hatte Julia später anvertraut, dass ihr charmanter Mann offen zugegeben hätte, eine Geliebte in Santiago zu haben. Außerdem hatte er erklärt, er hätte nicht die Absicht, ihr auf seinen vielen Reisen treu zu sein. Daraufhin war Liz mit dem Kind nach England zurückgekehrt, und die Ehe wurde rasch geschieden.
Julia machte ihrer Mutter keineswegs Vorwürfe. Ihre eigenen Erfahrungen mit ihrem Vater waren geradezu katastrophal gewesen. Als sie vierzehn gewesen war, hatte er sie zu einem Urlaub nach Chile eingeladen. Gern hatte sie die Gelegenheit ergriffen, ihren Vater kennenzulernen. Dummerweise hatte sie sich sogleich in Enrique Eiga, den zwanzigjährigen Sohn seiner Nachbarn, verliebt. Ihr Vater hatte sie sogar noch ermutigt, und sie war dann jeden Sommer nach Chile geflogen. Mit siebzehn hatten sie und Enrique sich verlobt und vorgehabt zu heiraten, sobald sie achtzehn war. Doch Julia war noch rechtzeitig aufgewacht und hatte die Verlobung gelöst. In den folgenden sieben Jahren hatte sie ihren Vater nicht mehr besucht und auch nicht mehr mit ihm gesprochen. Und jetzt, nach seinem Tod, war sie ihrer Mutter zuliebe zurückgekommen.
Als sie durch die breite Glastür ging, erblickte sie flüchtig ihr Spiegelbild. Nicht schlecht, dachte sie und hob den Kopf etwas höher. Sie war ungefähr einen Meter fünfundsechzig groß, trug einen cremefarbenen Leinenrock, eine kurzärmlige Jacke aus dem gleichen Material und hochhackige Sandaletten. Ihr langes Haar hatte sie zu einem Zopf geflochten. Insgesamt wirkte sie elegant und geschäftsmäßig.
Der junge Mann am Empfang musterte sie bewundernd, während sie ihm ihr Anliegen erklärte.
„Señor Carducci erwartet Sie.“ Auf Spanisch fügte er hinzu: „Der Glückliche.“ Dass Julia Spanisch sprach, konnte er nicht ahnen. Er führte sie zum Aufzug. „Seine Sekretärin holt Sie ab und bringt Sie zu seinem Büro.“
„Danke.“ Julia lächelte ihn freundlich an. Warum Männer sie attraktiv fanden, war ihr immer noch rätselhaft. Sie war schlank, hatte üppige Rundungen, und ihre Gesichtszüge waren regelmäßig. Von ihrer Mutter hatte sie die feine helle Haut geerbt und die großen, außergewöhnlich strahlenden grünen Augen. Aber ihr gelocktes kastanienbraunes Haar, das, wenn sie es nicht bändigte, wie eine wilde Mähne ihr Gesicht umrahmte, war das Erbe ihres südamerikanischen Vaters.
Als die Tür des Aufzugs sich im zweiten Stock automatisch öffnete, stieg Julia aus und betrat den mit einem dicken Teppich ausgelegten Flur. Um sie her herrschte völlige Stille, und sie geriet in Panik.
Eine Sekretärin war weit und breit nicht zu entdecken. Und es gab nur eine einzige Tür. Julia wartete eine Zeit lang und blickte schließlich auf die Uhr. Es war einige Minuten nach zwölf. Trieb Carducci etwa ein Spiel mit ihr? In gewisser Weise wäre es verständlich, denn sie hatte seine Anrufe ignoriert, weil zu der Zeit bei ihrer Mutter Brustkrebs diagnostiziert worden war. Randolfo Carduccis erster Anruf hatte sie eine Woche vor der Operation ihrer Mutter erreicht. Er hatte ihr erzählt, ihr Vater hätte einen leichten Herzanfall gehabt, es bestehe jedoch kein Grund zur Beunruhigung. Er hätte nicht ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen. Randolfo war der Meinung, sie solle ihren Vater wenigstens einmal anrufen und sich mit ihm aussöhnen. Vater und Tochter sollten endlich ihre Differenzen beilegen.
Julia war so überrascht gewesen, nach all den Jahren eine Nachricht aus Chile zu erhalten, dass sie erklärt hatte, sie wolle über den Vorschlag nachdenken.
Am Vorabend der Operation rief Carducci wieder an. Ihr Vater hatte einen zweiten Herzanfall erlitten und lag jetzt im Krankenhaus. Carducci hatte für Julia einen Flug nach Santiago
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