Julia Exklusiv Band 0194
Damit ging Jancey wieder hinaus.
Die Mädchen blickten sich an.
„Er ist so mutig“, flüsterte Kim schwärmerisch.
„Nein“, meinte Anita, und das Grübchen in ihrer Wange vertiefte sich. „Es gehört schon mehr dazu als eine Legende und ein Geist, um den Schlossherrn nervös zu machen.“
„Ob er uns noch gute Nacht sagen wird?“, fragte Kim.
„Das hoffe ich nicht!“
Kim sah Anita prüfend an. „Ich glaube, du hast Angst vor ihm.“
„Ich habe keine Angst, ich möchte nur nicht in diesem Flanellhemd im Bett gesehen werden – von keinem Mann.“
Kim lachte und nickte. „Du hast recht. Ich auch nicht.“
Nach kurzer Zeit holt Jancey das Tablett ab und richtete Grüße von Talgarth aus. Er habe Nachrichten für Miss Anita, ließ er sagen, die er ihr morgen früh mitteilen würde. Jancey schloss die Tür hinter sich. Bald waren die beiden Mädchen eingeschlafen.
Durch die Falten der Vorhänge kam dämmeriges Morgenlicht, als Anita erwachte. Eine Uhr schlug eine frühe Stunde. Sie war hellwach und stand auf. Vielleicht konnte sie sich ungestört ein wenig umschauen, sich mit der neuen Umgebung vertraut machen. Kim sollte noch weiterschlafen.
Nach einer kühlen Dusche fühlte sie sich frisch und tatendurstig. Sie ging langsam und leise die Treppe in die Halle hinunter und aus dem Haus. Der Garten war wild gewachsen, Bäume, Sträucher, Gräser standen so, wie die Natur sie hervorgebracht hatte. Dann stand sie vor einer weißen Mauer mit runden vergitterten Durchbrüchen und sah in einen Rosengarten. Eine kleine Tür führte hinein.
Es war völlig unerwartet, etwas so Schönes zu sehen. Teerosen standen da vom zartesten Weißgold bis Gelbrosa, elegante Damaskus-Rosen mit samtigem Schimmer. Sie atmete den berauschenden Duft ein. Der Garten eines Kreuzfahrers, musste sie denken, der nach langer Wanderung heimgekehrt war, um sein Erbe wieder zu übernehmen. Dieser Garten war ein Traum.
Noch lag Tau auf Blüten und Blättern. Ob Talgarth oft an diesen romantischen Ort kam? Auf der gegenüberliegenden Seite war wieder eine kleine Tür. Sie führte zu einem schmalen Fußpfad, der sie zu den Klippen brachte. Hier hatte sie einen weiten Blick.
Anita fand eine Bank, um die in aufgeschütteter Erde rote Fuchsien gepflanzt waren. Plötzlich sah sie, wie sich unten im Meer etwas bewegte. Mit einem kleinen Aufschrei erkannte sie einen Schwimmer, der, wie es ihr schien, mit den hohen Wellen kämpfte. Es war Eduard Talgarth.
Gestern hatte er sie gewarnt, bei hohem Wellengang zu schwimmen, doch er schien die See nicht zu fürchten. Ab und zu verschwand er hinter den Wellen, und Anita befürchtete, er würde nicht wieder auftauchen. Sie hielt den Atem an, suchte mit den Augen das Terrain ab. Sie konnte ihn nirgends mehr entdecken. Mein Gott, wenn er auf die Felsen im Wasser aufgeschlagen war! Minuten vergingen, und sie zitterte vor Angst und Sorge.
Dann hörte sie jemanden singen. Eine klare, tiefe Männerstimme. Sie sang ein altes englisches Lied. Anita sprang auf, als er hinter einer Felsbiegung erschien. Sein Haar war nass und zerzaust. Er trug einen roten Sweater und eine weiße Hosen. Den Badeslip schlenkerte er hin und her. Als er Anita sah, brach er sein Lied ab.
„Hallo“, rief er, „Sie sind ein Frühaufsteher!“
„Sie auch!“
Anita war verwirrt. Er musste unter Wasser geschwommen sein und sich unterhalb der Klippen umgezogen haben.
Er kam an ihre Seite und streckte die Hand aus, nahm etwas aus ihrem Haar.
„Sie waren in meinem Rosengarten, nicht wahr?“
„Haben Sie etwas dagegen?“
„Ich bitte Sie.“ Seine Augen blitzten spöttisch. „Ich glaube, Sie halten mich für Ritter Blaubart. Keine Tür in meinem Haus ist für Sie verschlossen. War es eine angenehme Überraschung, bei einem Ungeheuer einen so lieblichen Garten zu finden?“
„Ist es nicht recht unüblich für einen Seemann, einen grünen Daumen zu haben?“, fragte Anita.
Er zerrieb das Rosenblatt zwischen Daumen und Zeigefinger. „Ich liebe Holz, Metall und grüne Pflanzen. Ich berühre sie gern. Bildhauer zu werden war einmal meine ganze Sehnsucht. Doch es hätte zu lange gedauert, um genügend Geld zu verdienen. Geschockt von so viel Materialismus?“
„Nicht unter diesen Umständen“, gab Anita zu. „Ich hörte, das Schloss fiel in fremde Hände, und Sie mussten es für die Talgarths zurückkaufen.“
„Es gibt nur noch einen Talgarth“, resümierte er. „Und vielleicht segele ich eines Tages wieder fort.
Weitere Kostenlose Bücher