Julia Exklusiv Band 0197
Konventionen seiner Heimat ein Gräuel gewesen, und lieber wäre sie gestorben, als sich ihnen zu unterwerfen. Das lange rote Haar hatte sie stets offen getragen, und ein Kleid hatte sie nur angezogen, wenn es unbedingt sein musste. Sie hatte knappe Shorts bevorzugt, die ihre faszinierenden schlanken Beine zur Geltung brachten, und enge Tops, die die Blicke der Männer zwangsläufig auf ihre perfekt geformten Brüste lenkten.
Außerdem hätte sie sich lieber die Zunge abgebissen, als Interesse an den Gefühlen seiner Mutter zu äußern, ergänzte Leandros in Gedanken, als Diantha durch die gläserne Schiebetür ging.
Schulterzuckend stellte er sich wieder an die Reling und trank einen Schluck Bier. Isobel und seine Familie waren vom ersten Tag an wie Feuer und Wasser gewesen. Kein gutes Haar hatten sie aneinander gelassen, und keine der beiden Seiten hatte auch nur versucht, auf den anderen zuzugehen.
Diantha hingegen mochte seine Mutter sehr gern, und zu seiner großen Freude beruhte die Zuneigung auf Gegenseitigkeit. Als beste Freundin seiner Schwester ging sie seit Kindertagen in seinem Elternhaus ein und aus, und deshalb kannte er sie schon seit vielen Jahren.
Richtig Notiz von ihr genommen hatte er allerdings erst, als sie vor einer Woche an Bord gekommen war. Ursprünglich hatte Chloe ihm bei der Organisation des Fests helfen wollen, das in wenigen Tagen stattfinden sollte. Doch da sie bereits die Hochzeit ihres Bruders Nikos vorbereitete, war Diantha kurzerhand eingesprungen.
Er rechnete es ihr hoch an, weil sie erst wenige Tage zuvor aus Washington zurückgekommen war, wo sie vier Jahre mit ihren Eltern gelebt hatte. Entsprechend überrascht war er gewesen, als ihm statt des kleinen Mädchens von früher eine attraktive junge Frau gegenüberstand, die mehr Vorzüge hatte als die meisten ihrer Altersgenossinnen.
Dazu gehörte auch, dass außer einer kurzen und harmlosen Romanze mit seinem Bruder Nikos nichts Nachteiliges über ihren Lebenswandel bekannt war. Vor allem das machte sie als Partnerin ungleich geeigneter als diejenige Frau, mit der er noch immer verheiratet war.
Erst als Leandros die leere Bierflasche abstellte, bemerkte er den Mann, der auf der Mole stand und seine Kamera direkt auf ihn und seine Jacht gerichtet hatte. Pressefotografen verabscheute er von jeher. Zum einen hatten sie nicht den geringsten Respekt vor seiner Privatsphäre, und zum anderen verdiente seine derzeitige Ehefrau mit dieser zweifelhaften Tätigkeit ihren Lebensunterhalt.
Ihre erste Begegnung hatte gewissermaßen durch das Objektiv ihres Fotoapparats stattgefunden, das sie auf ihn und den roten Ferrari gerichtet hatte, vor dem er stand. Um besonders effektvolle Bilder zu bekommen, hatte sie wie verrückt mit ihm geflirtet, bis er sich schließlich dazu erweichen ließ, allerhand lächerliche Posen vor dem Sportwagen einzunehmen. Wenige Stunden später hatten sie miteinander geschlafen, und danach …
Leandros verbot sich den Gedanken an das, was nach dieser ersten Begegnung geschehen war. Nie wieder wollte er an Isobel denken. Es wurde höchste Zeit, sie ein für alle Mal aus seinem Leben zu streichen, und die Scheidung würde es ihm sicher sehr erleichtern.
Als Isobel den Brief las, der in der Post gewesen war, gingen ihre Gedanken in eine ganz ähnliche Richtung. Er stammte vom Anwalt ihres Noch-Ehemannes, der ihr mitteilte, dass Leandros die Scheidung eingereicht hatte.
Die Nachricht war aus heiterem Himmel gekommen, und auch wenn ihr der Schritt konsequent schien, hatte es sie schockiert, auf diesem Weg davon zu erfahren. Deshalb war Isobel erleichtert, dass ihre Mutter noch schlief und sie allein an dem kleinen Küchentisch saß.
Im Grunde ist die Scheidung längst überfällig, dachte sie und las erneut die Zeilen, mit denen das Ende einer Ehe angekündigt wurde, die niemals hätte geschlossen werden dürfen. Trotzdem verschwammen ihr die Buchstaben vor den Augen, je mehr sie sich darüber klar wurde, dass mit dem Brief das letzte Kapitel eines vier Jahre andauernden Irrtums angebrochen war.
Möglicherweise scheute Leandros vor dieser Einsicht genauso zurück wie sie. Warum sonst hatte er so lange gebraucht, um sich zu diesem Schritt durchzuringen?
Oder hatte er andere Beweggründe für den unvermittelten Entschluss, sich scheiden zu lassen? Vielleicht hatte er ja eine Frau kennengelernt, bei der ihm nicht nur sein Herz, sondern auch sein Verstand sagte, dass er mit ihr den Rest seines Lebens verbringen
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