Julia Extra 0357
bezaubernd. Und es gefiel ihm, dass sie sich mit ihm identifizieren konnte, wie er es sonst nur von Zephyr kannte. Sie wusste, wie es war, keine echte Kindheit zu haben. Sie verstand, was Verlust und Angst und Hunger waren, auch wenn es bei Letzterem um den Hunger nach Liebe ging.
Die Freundschaft mit ihr war ihm wichtig. Das würde er nicht durch Sex ruinieren, ganz gleich, wie stark die Anziehungskraft sein mochte.
Er suchte nach den Bagels, steckte einen davon in den Toaster und rief Cole Geary an.
„Sie hat den Sicherheitsmaßnahmen zugestimmt. Aber sie will nicht, dass irgendetwas an der Bepflanzung des Gartens geändert wird.“
„Das überrascht mich nicht“, erwiderte Cole prompt.
„Nicht?“ Neo hatte überhaupt kein Verständnis dafür, er hätte hier alles abgeholzt.
„Ich habe ein wenig über die Geschichte des Hauses recherchiert. Die Eltern haben es noch vor ihrer Geburt gekauft. Der Größe nach zu urteilen, wurden diese Büsche damals angepflanzt, ich nehme an, von ihrer Mutter.“
„Also ist es etwas Sentimentales?“ Damit hatte Neo nicht viel Erfahrung. So groß sein Vermögen auch war, diesen Luxus konnte er sich nicht leisten.
„Sowohl Paparazzi als auch Einbrecher können sich in den hohen Büschen bestens verstecken.“
„Sie wird trotzdem nicht nachgeben, sie ist ziemlich entschlossen.“
„Sie haben sie doch schon überzeugt, Türen und Fenster austauschen zu lassen. Dann wird es Ihnen auch gelingen, ihr die Hecke auszureden. Ich werde den Termin für die Gärtner nach hinten verschieben.“
Neo wünschte, er hätte Coles Zuversicht. Doch zum ersten Mal seit Jahren bestand die Möglichkeit, dass er jemanden getroffen hatte, der ebenso stur und unnachgiebig war wie er. Als ihm das das letzte Mal passiert war, war aus der Person ein Freund und Geschäftspartner geworden.
Nur eine Beschreibung passte auf Cassandra, als sie wieder nach unten kam: übellaunig. Mit einem gebrummten „Danke“ in seine Richtung setzte sie sich an den Tisch und biss lustlos in den Bagel.
„Du siehst gut aus“, versuchte Neo es mit einem Kompliment. Die meisten Frauen blühten doch bei Komplimenten auf, oder? „Vor allem die Accessoires gefallen mir.“
Ja, Schal und Schuhe in leuchtendem Pink setzten lebhafte Akzente zu dem dunkelblauen Hosenanzug und der weißen Bluse. Die großen Kreolen in der gleichen Farbe hätte er auch nicht unbedingt erwartet.
Sein Kompliment brachte ihm nicht mehr ein als ein weiteres knappes „Danke“.
„Es überrascht mich, dass du so strahlende Farben trägst.“
Mit diesem Kommentar gehörte ihm allerdings ihre gesamte Aufmerksamkeit. „Wieso?“
„Ich hätte gedacht, dass du nicht auffallen willst.“ Für ihn war es nur logisch, dass grelle Farben und lähmende Schüchternheit sich gegenseitig ausschlossen. Aber er war ja auch kein Psychiater.
„Muss ich deshalb Grau und Schwarz tragen und mein Haar in einen strengen Knoten drehen?“
„Nein.“ Er wäre allerdings weniger überrascht gewesen, wenn sie es getan hätte.
„Ich rede nicht gern mit Fremden.“
So konnte man es auch nennen. Agoraphobie war allerdings eine andere Sache.
„Deshalb muss ich aber nicht in einem Sack herumlaufen oder mich kleiden wie ein Einsiedler.“ Sie schnaubte. „Ich trete nicht mehr vor Publikum auf, doch ich bin durchaus in der Lage, mein Haus zu verlassen. In meinem Leben gibt es schon genug Einschränkungen, und zufälligerweise mag ich leuchtende Farben.“
„Ich werd’s mir merken.“
„Wozu?“
Wenn er genauer darüber nachdachte … ja, wozu? Sie war keine Bettgespielin, für die er Geschenke kaufen musste. Trotzdem … heute würde er Cassandra mehr von seiner Zeit überlassen, als er irgendeinem anderen Menschen seit Langem überlassen hatte. Er hatte sämtliche Meetings und Termine verschoben, und das hatte er schon seit Jahren nicht mehr gemacht. Einzig und allein, weil er vorhatte, Cassandra zu unterhalten. Schließlich war er dafür verantwortlich, dass man sie heute aus ihrem Haus vertrieb. Als er sie das wissen ließ, handelte er sich jedoch nur ein düsteres Stirnrunzeln ein.
„Vermutlich erwartest du jetzt, dass ich dir auf ewig dankbar bin.“
„Besteht überhaupt die Aussicht darauf?“
„Nein.“
Sie war erfrischend ehrlich. Nachdem sie sich an ihn gewöhnt hatte und er kein Fremder mehr für sie war, schüchterte er sie nicht mehr ein, so wie er sonst jeden anderen einschüchterte. Und schon wieder musste er sich das Grinsen
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