Julia Extra 260
sondern sein Vater. Weihnachten und Silvester hatte er mit Vanessa auf Mauritius verbracht, was viel vergnüglicher gewesen war, als seinen ewig nörgelnden Vater zu besuchen. Natürlich hatte sein Vater es herausgefunden – nichts, was der Sohn tat, blieb dem alten Mann verborgen –, aber der Tadel würde persönlich, nicht per Telefon erfolgen. Aus diesem Grund musste er nach Athen.
Markos wusste genau, was passieren würde. Sein Vater war alt, sein einziger Sohn schwach, respektlos und selbstsüchtig und hielt nichts von seiner Verpflichtung gegenüber dem Namen Makarios. Hatte sein Vater nicht genug Leid durch seine Ehefrau ertragen müssen? Hatte er es nicht verdient, die letzten Jahre seines Lebens ohne Ängste und Sorgen zu verbringen? Endlich seine Enkelkinder um sich zu scharen, statt die dummen Ausflüchte seines Sohnes zu hören? Und wusste sein sturer Sohn denn nicht, dass er eine griechische Frau heiraten musste, um eben jene Enkelkinder zu zeugen? Eine gute Frau, eine loyale Frau, eine griechische Frau, die treu und aufrichtig sein würde, und nicht untreu und falsch. Eine Frau, die ihre Pflicht kannte: ihrem Ehemann Söhne und dem Schwiegervater Enkel zu schenken.
Aber nein, Markos war selbstsüchtig und respektlos. Er verschwendete seine Zeit mit Flittchen und Huren wie derjenigen, mit der er Weihnachten in der Karibik verbracht hatte, anstatt nach Hause zu kommen und sich eine Frau zu nehmen. Eine aus dem Dutzend, das sein Vater bereits für ihn ausgesucht hatte …
In seinem Kopf ließ Markos die Eisentür zufallen, die die endlose Litanei seines Vaters zum Verstummen brachte. Thee mou , er wollte nicht nach Athen! Er wollte nicht mit zusammengebissenen Zähnen die Tiraden seines Vaters über sich ergehen lassen. Aber er musste es tun. Und nachdem es getan war, konnte er wieder flüchten – zurück in das Leben, das er für sich gewählt hatte. Ein Leben, in dem es wunderschöne Frauen gab – wie die, mit der er gerade das Bett teilte, die ihm alles gab, was er wollte. Alles, was er brauchte.
Frauen, die in einer Million Jahren nicht ans Heiraten dachten.
Oder an Kinder.
Oder daran, sich zu verlieben.
4. KAPITEL
Trübsinnig sah Vanessa hinaus in die Nacht. Zwanzig Stockwerke unter ihr schimmerte dunkel die Themse. Sie fröstelte, und das lag nicht am britischen Winter. Die Kälte saß in ihr.
Weil Markos nicht bei ihr war.
Er war länger fort, als sie gedacht hatte – schon über eine Woche.
Sie vermisste ihn. In ihr herrschte eine Leere, die sie rastlos machte und sie trotz der Kälte und der späten Stunde auf die Dachterrasse des Apartments in Chelsea trieb. Denn mit einem Mal war ihr die wohlige Wärme des Penthouses viel zu heiß und das flaue Gefühl, das sie seit der Rückkehr aus Österreich und der Trennung von Markos verspürte, noch stärker.
Lange blieb sie draußen stehen, die Arme eng um den Körper geschlungen. Oh Markos, warum bist du so lange fort? Bitte komm bald zurück! Bitte. Ich vermisse dich so sehr!
Wieder und wieder gingen ihr die Worte durch den Kopf.
Sie konnte ihn noch nicht einmal anrufen. Denn mit dem Handy, das er ihr gegeben hatte, konnte man nur Anrufe empfangen, aber nicht selbst anrufen. Außerdem hätte er sich gemeldet, wenn er mit ihr sprechen wollte. Doch seit sie in London angekommen war, hatte sie nichts von ihm gehört.
Quälend langsam vergingen die Tage. Tagsüber ging sie einkaufen oder besichtigte Museen. Abends besuchte sie Konzerte, ging ins Kino oder ins Theater. Heute hatte sie einen Film im Kino gesehen, eine traurige Liebesgeschichte, die sie nur deprimiert hatte. Dazu kam, dass es keinen Spaß machte, allein auszugehen, und sie kannte niemanden in London.
Natürlich hatte sie in den letzten Monaten einige von Markos’ Bekannten kennengelernt, aber die kamen nicht auf die Idee, sie ohne Markos einzuladen. Was Vanessa allerdings nicht störte, denn sie fühlte sich bei diesen Menschen, die einfach einer anderen sozialen Schicht entstammten, nicht richtig wohl.
Unentwegt starrte sie auf den kalten dunklen Fluss hinunter und wartete auf den Mann, den sie liebte.
Damit sie wieder anfangen konnte zu leben.
Auch Markos war in einer grässlichen Stimmung. Der Flug hatte Verspätung, und die zehn Tage in Athen hatten einem Fegefeuer geglichen. Mit jeder Rüge, die man sich nur vorstellen konnte, hatte sein Vater ihn bedacht. Aber damit nicht genug. Der alte Mann hatte zudem eine Dinnerparty inszeniert, zu der er die aktuelle
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