Julia Extra 260
herumkritisierte. Das schaffte sie auch allein ziemlich gut.
Ohne zu antworten, ging er auf ihre Wohnungstür zu. Maggie folgte ihm zögernd.
Würde sie jetzt die Wahrheit erfahren? Sie wollte wissen, was ihn nachts nicht schlafen ließ. Es gehörte zu den Dingen, die Sean ihr von Anfang an verschwiegen hatte. Sie würde ein winziges Bruchstück hingeworfen bekommen, Hinweise auf die schreckliche Wahrheit, Schnappschüsse, die nur einen Bruchteil dessen, eine Ahnung vom Gesamtbild ausmachten. Und er würde sich niemals vollkommen öffnen. Aber genau das wollte sie, so seltsam das klang. Weil es ein weiterer Teil des ganzen Sean O’Reilly war, etwas, das sie an ihn band, in Freundschaft undVertrauen. Auch wenn es ihr dann immer mehr schwerfallen würde, von ihm loszukommen. Sie sollte das alles nicht wissen wollen, aber sie tat es.
Sean öffnete die Tür und stieß sie mit Schwung auf und steckte den Kopf hinein. Es lag nun an ihr – sie könnte ihn wegschicken, zu ihrer eigenen Sicherheit. Oder sie könnte ihn hineinbitten, wie schon so oft.
Fragend hob er eine Augenbraue.
Verdammt, sie war schon verloren. Seit Monaten. Zumindest könnte er sich ihr anvertrauen. Das schuldete er ihr. Also ging sie hinein und wartete darauf, dass er ihr folgte.
7. KAPITEL
„Ich mache uns dann mal einen Kakao.“ Umständlich streifte sie den Mantel ab.
„Ich könnte auch etwas Stärkeres vertragen.“
Maggie drehte sich zu ihm um, schaltete das Wohnzimmerlicht an. „Vielleicht holst du dir ein Handtuch?“, schlug sie mit einem Blick auf seine feuchten Haare vor.
„Hast du womöglich Angst, ich könnte Spuren auf der Couch hinterlassen?“
„Nein, eher, dass du dich erkältest und dann bei der Arbeit ungenießbar bist.“
„Ich bin ein erstklassiger Patient.“
Sie musste lachen. „Natürlich bist du das. Aber ich bin es nicht, deswegen werde ich mich auch umziehen. Zumindest einer von uns sollte gesund bleiben.“
Als sie einige Minuten später in bequemen Sachen aus dem Schlafzimmer zurückkam, hatte er das große Licht gelöscht. Der Raum war nun in das warme Licht der kleinen Tischlampen getaucht. Sean stand über die Musikanlage gebeugt und schaute ihre CD-Sammlung durch, ein Handtuch über der Schulter.
Die Situation war gar nicht so ungewöhnlich. Es war schon häufiger vorgekommen, dass sie es sich nach einem anstrengenden Arbeitstag in einer ihrer Wohnungen gemütlich gemacht, Musik gehört und sich über dies und das unterhalten hatten. Wenn auch nicht in letzter Zeit. Plötzlich fühlte Maggie sich unwohl, sogar vage bedroht von seiner Anwesenheit und der warmen, fast romantischen Atmosphäre.
Er schaute auf und zögerte einen Moment. Dann erhob er sich und schwenkte eine CD. „Hintergrundmelodien.“
„Gute Idee.“ In der Küche machte sie sich auf die Suche nach etwas zu trinken. Etwas Stärkeres als Kakao wollte er. Vielleicht Wein? Das musste reichen. Schließlich betrieb sie keinen Kiosk. Also nahm sie eine Flasche Rotwein und zwei Gläser aus dem Regal. Schon drang leise Musik aus dem Wohnzimmer.
Wein, weiches Licht, Musik. Das hatte mehr etwas von einem Date, und auf jeden Fall mehr als das Date, das sie gerade hinter sich hatte.
Sie nahm an, er würde sich wie üblich in den großen Sessel in der Nähe der Musikanlage setzen, ließ sich auf dem Sofa nieder und füllte die Gläser mit Wein. Doch stattdessen nahm er neben ihr Platz und war ihr sogar erschreckend nahe.
Instinktiv dachte sie daran, wegzurücken und so viel Abstand wie möglich zwischen ihnen zu schaffen. Doch sie blieb sitzen, wo sie war. Lass dich nicht einschüchtern.
Sean streckte die Hand nach einem Glas aus. „So, du fängst an.“
„Warum ich?“
„Weil ich ein altmodischer Typ bin, ‚Ladies first‘.“
Diese Bemerkung kommentierte sie mit einer hochgezogenenAugenbraue und hob das Glas. Die Beine verschränkte sie neben sich, zwischen sich und ihn, und ließ sich tiefer in die Kissen sinken. „Was willst du wissen?“
Er zuckte die Schultern. „Wir könnten mit seinem Namen anfangen.“
„Paul.“
„Paul. Das ist ein guter Name. Kurz und prägnant. Und wie ist er so?“
Nicht so wie du. Sie hatte es aufgegeben zu hoffen, jemand wie Sean zu finden. Paul jedenfalls war mehr das genaue Gegenteil – blond, offen. „Er ist klasse, soweit ich das bisher beurteilen kann.“
„Eure erste Verabredung?“
„Ja.“ Maggie nippte an ihrem Wein.
„Hmm. Das kann ja schon alles entscheiden. Ob man sich
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