Julia Extra 260
teilte, aber nicht weiter. Alles was Jason sehen konnte, war ein Bein. Ein äußerst hübsch geformtes Bein mit einer schönen Wade und einer schlanken Fessel.
Aber immer noch nur ein Bein.
Leah beobachtete seine Augen wie ein Falke seine Beute. Sie beobachtete und wartete.
Doch die einzige Reaktion, die sie in seinem Gesicht ablesenkonnte, war Überraschung, gefolgt von einer merkwürdigen Erleichterung.
War der Mann blind? Er musste doch die Narben sehen! Ganz sicher!
Doch er schien sie nicht zu bemerken.
Als sie hinunterblickte, erkannte Leah, dass die schlimmsten Narben immer noch vom Stoff des Kimonos bedeckt waren. In ihrem Bemühen, ihre Würde zu wahren, hatte sie das verdammte Teil zu fest geschlossen.
„So! Kannst du sie jetzt sehen?“, fragte sie, als sie ihr Bein noch ein Stückchen weiter nach vorne schob. Gleichzeitig stellte sie die Zehenspitzen auf und beugte leicht das Knie.
Er blinzelte lediglich. Mehr nicht. Nur ein kleines Blinzeln, gefolgt von einem Stirnrunzeln voller Unverständnis.
„Ja“, antwortete er irgendwann. „Ich kann sie sehen.“
„Und?“, stieß sie hervor, denn seine Reaktion verblüffte sie völlig. Er musste ihr etwas vorspielen. Es konnte gar nicht anders sein. Niemand konnte sich dieses zerstörte Gewebe anschauen und nicht davon abgestoßen sein. Sie fühlte sich schließlich auch davon abgestoßen, und sie lebte seit zwei Jahren damit.
„Ist das dein Problem?“, fragte er ruhig. Sein Blick lag jetzt nicht länger auf ihrem Bein, sondern auf ihrem Gesicht. „Diese kleinen Male auf deinem Bein?“
„Kleinen Male?“, schrie sie ihn beinahe an, während sie ihr Bein zurückschob und den Seidenmantel fest um sich wickelte. „Das sind keine kleinen Male. Das sind Narben. Schreckliche, eklige, hässliche Narben. Hör auf, so zu tun, als wäre es nicht so.“
Er wirkte vollkommen erstaunt. „Zeig sie mir noch einmal“, sagte er. „Vielleicht habe ich sie nicht richtig gesehen.“
Jason erkannte den Schock in ihrem Gesicht bei diesem Vorschlag, und Mitgefühl erfüllte sein Herz, als er sich daran erinnerte, wie Karen sich mit ihren Operationsnarben gefühlt hatte. Er hatte einige Mühe gehabt, seine Frau davon zu überzeugen, dass er sie auch damit noch begehrenswert fand. Sie hatte ihren vernarbten Oberkörper ständig bedeckt.
Plötzlich wurde ihm das ganze Ausmaß der Situation klar. Diese Frau war viel zu verletzlich, als dass er sie auf die Weise benutzen könnte, wie er es vorgehabt hatte. Es machte keinenSinn, seine wenig ehrenwerten Absichten beschönigen zu wollen. Er musste ehrlich mit sich sein. Sein Plan hatte eine eher kaltblütige Verführung vorgesehen, gefolgt von einer rein sexuellen Affäre.
Manche Frauen konnten mit so etwas umgehen. Aber Leah gehörte nicht dazu.
„Sie sind nicht schlimm, Leah“, erklärte Jason mit einem sanften Seufzer. „Ich habe sie zuerst gar nicht bemerkt.“
„Ja, sicher“, schnaubte sie und schlang ihre Arme schützend um ihren Körper.
Jason stand einfach nur da und wusste nicht, was er tun oder sagen sollte. „Was ist passiert?“, fragte er schließlich.
„Willst du das wirklich wissen?“, schleuderte sie ihm entgegen.
„Ja“, gab er ruhig zurück.
„Ich hatte einen Autounfall. Vor zwei Jahren.“
„Und?“
„Und ich möchte nicht wirklich darüber reden. Schau, du musst nicht hierbleiben und mitfühlende Worte von dir geben. Ich kann an deiner Körpersprache erkennen, dass du am liebsten weglaufen würdest. Ich verstehe das. Wirklich. Ich habe das Ganze schon einmal mitgemacht, mit einem anderen Mann ganz so wie du. Ich meine … du willst lediglich körperliche Perfektion, richtig? Keine beschädigte Ware.“
Jason starrte sie an. Sie hatte recht. Und sie täuschte sich. Ihre Narben waren ihm völlig egal. Er hielt sie immer noch für die schönste und begehrenswerteste Frau, die ihm je begegnet war.
Aber er wollte tatsächlich davonlaufen, ehe er sein Gewissen vollkommen vergaß und ihre Verletzlichkeit ausnutzte. Irgendein Mann – ein verdammter Bastard – hatte ihr etwas Schreckliches angetan. Vermutlich hatte er ihr gesagt, dass sie jetzt hässlich wäre oder einen ähnlichen Blödsinn.
„Wer war es, Leah?“, wollte er wissen.
Ihre grünen Augen sprühten Funken. „Wer war was?“
„Der Mann, der dir diesen Unsinn über deine Narben eingeredet hat.“
„Mein Ehemann, wenn du es genau wissen musst.“
„Ehemann!“ Also das hatte sie in diesen ganzen Jahren getan.
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