Julia Extra 360
verzogen sich kurz, ohne einem Lächeln auch nur nahezukommen. „Unser ‚Zwei-zum-Preis-von-einem‘-Angebot. Du kannst zwischen Blau, Rosa und Gelb wählen. Die weißen Strampler sind leider schon alle weg.“
Sein Blick lag beharrlich auf ihrem Gesicht, dunkel und hypnotisierend wie früher. „Können wir irgendwo unter vier Augen reden?“
„Wie du siehst, habe ich Kundschaft.“ Sie deutete auf die junge Frau, die jetzt die Regale durchsah.
„Bist du in der Mittagspause frei?“
Gisele fragte sich, ob er in ihrem Gesicht nach Fehlern suchte. War ihm aufgefallen, dass ihr Teint lange nicht mehr so strahlte wie früher? Sah er die dunklen Augenringe, die sich von keinem Make-up abdecken ließen? Er hatte immer großen Wert auf Perfektion gelegt, nicht nur bei seiner Arbeit. Vermutlich entsprach sie heute nicht mehr seinem Standard, selbst wenn ihr Ruf wieder hergestellt war. „Ich besitze ein Geschäft“, erwiderte sie stolz. „Ich nehme mir keine Mittagspause.“
Kritisch sah er sich in der Baby-Boutique um, die sie wenige Wochen nach der Trennung, nur Tage vor dem abgesagten Hochzeitstermin, gekauft hatte. Das kleine Geschäft zu der erfolgreichen exklusiven Boutique aufzubauen war das Einzige, was ihr in den letzten beiden Jahren über den Kummer hinweggeholfen hatte.
Freunde und ihre Mutter hatten immer wieder zu bedenken gegeben, ob es nicht besser wäre, das Geschäft zu verkaufen, nachdem Lily nicht überlebt hatte. Doch für sie war dieser Laden eine Verbindung zu ihrer fragilen kleinen Tochter. Hier, umgeben von handgemachten Babydecken, gehäkelten Mützchen und kleinen Söckchen, fühlte sie sich Lily näher. Niemand wusste, wie schwer es ihr fiel, nicht in die Kinderwagen zu sehen, die durch die Ladentür kamen, und die rosigen kleinen Bündel zu streicheln, die dort sicher und wohlbehütet schliefen. Niemand ahnte, wie oft sie sich in den Nächten an die Decke klammerte, in die Lily für die wenigen Stunden ihres Lebens eingewickelt gewesen war.
Emilios Blick kehrte zu ihr zurück. „Dann treffen wir uns zum Dinner. Der Laden schließt doch um sechs, oder?“
Gisele sah der jungen Mutter nach, die den Laden verließ – vermutlich vertrieben durch Emilios düstere Anwesenheit. „Dinner ist ausgeschlossen. Ich habe andere Pläne.“
„Bist du mit jemandem zusammen?“
Glaubte er wirklich, nach dem, was er ihr angetan hatte, würde sie sich gleich in die nächste Beziehung stürzen? Manchmal fragte sie sich, ob sie sich überhaupt je wieder auf einen Mann einlassen würde.
Langsam bekam sie das Gefühl, dass er nicht nur gekommen war, um sich zu entschuldigen. Die Atmosphäre schien mit jedem Atemzug dichter zu werden. Verdammt, sie konnte sogar fühlen, wie ihr Körper auf seine Präsenz reagierte, genau wie damals. Alle ihre Sinne waren in Alarmbereitschaft, Erinnerungen stürzten auf sie ein – wie er ihr alles über die körperlichen Freuden beigebracht hatte. Wie er ihr gezeigt hatte, wie viel sie geben und nehmen konnte.
Sie hob das Kinn. „Ich wüsste nicht, was dich das angeht.“
Ein Muskel zuckte in seiner Wange. „Ich weiß, wie schwer es für dich ist, Gisele. Für mich auch.“
Sie bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick. „Du meinst, du hättest nie damit gerechnet, dass du dich mal entschuldigen müsstest?“
Seine Miene verschloss sich sofort. „Ich bin nicht stolz darauf, wie ich die Sache beendet habe. Aber an meiner Stelle hättest du genauso reagiert.“
„Falsch. Ich hätte nach einer anderen Erklärung gesucht, als das Video im Internet auftauchte.“
„Herrgott, Gisele, meinst du, das hätte ich nicht getan? Du sagtest, du seist ein Einzelkind. Selbst du wusstest nicht, dass du eine Zwillingsschwester hast. Ich habe mir das Video angesehen und sah dich, das gleiche silberblonde Haar, die gleichen blaugrauen Augen, sogar die gleiche Gestik. Was hätte ich denn glauben sollen?“
„Du hättest mir glauben sollen“, gab sie schneidend zurück. „Aber du hast mich nicht genug geliebt, um mir zu vertrauen. Du hast mich überhaupt nicht geliebt, du brauchtest nur die perfekte Vorzeigefrau. Und die gab es durch dieses erbärmliche Video nicht mehr. Es hätte keinen Unterschied gemacht, selbst wenn die Wahrheit nach zwei Minuten ans Licht gekommen wäre statt nach zwei Jahren. Für dich hatte dein Geschäft immer Vorrang.“
„Ich habe alle geschäftlichen Termine verschoben, um herzukommen und dich persönlich zu sehen“, warf er ein, die
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