Julia Extra Band 0193
hängte ihn an einen Garderobenhaken. Dann schob sie die Tür zum Wohnzimmer auf.
Das Zimmer sah aus wie immer. Armselig, mit zusammengewürfeltem Mobiliar, das ihr entweder Freunde überlassen hatten oder das sie sich auf Trödelmärkten zusammengesucht hatte. Aber seine Anwesenheit ließ den Raum noch schäbiger wirken. Der graue Maßanzug und das teure Seidenhemd passten nicht in diese bescheidene Umgebung.
Eigentlich war er viel zu elegant für einen kurzen Besuch angezogen. Die ungute Ahnung, dass ihre Schwester in Schwierigkeiten steckte, wurde stärker. Schweigend beobachtete sie, wie er sich in einen der alten Sessel setzte, und wartete darauf, dass er etwas sagen würde.
Auch er musterte sie, dann: „Wenn du dir erst etwas Trockenes anziehen willst … Ich warte.“
„Nein, das ist nicht nötig.“ Sie hängte ihre nasse Jacke über einen Stuhl. Die blaue Baumwollbluse war feucht, ebenso ihre dunkelblaue Hose, aber sie beschloss, diesen unangenehmen Umstand zu ignorieren. „Möchtest du etwas trinken?“
Sie hatte aus reiner Höflichkeit gefragt; umso erstaunter war sie, als er das Angebot annahm. „Ja, ein Whisky wäre nicht schlecht, wenn du so etwas da hast.“
Falls überhaupt, so hatte sie eigentlich an Tee gedacht, aber sie ging trotzdem vor dem kleinen Barschrank in die Hocke und überprüfte den Inhalt. „Wie es aussieht, kann ich dir nur Wodka oder Martini anbieten.“
„Dann einen Wodka, bitte.“ Es klang, als bräuchte er tatsächlich eine Stärkung. Und als sie ein Glas herausnahm und die klare Flüssigkeit einfüllte, fügte er hinzu: „Du solltest dir besser auch einen einschenken.“
Also gab es wirklich schlechte Neuigkeiten. Aber was anderes sollte ein Mann wie er auch überbringen?
Sie goss einen Schuss Wodka in ein zweites Glas und füllte es mit Limonade auf. Dann stellte sie sein Glas vor ihn auf den niedrigen Tisch und setzte sich in den Sessel ihm gegenüber.
Sie sah schweigend zu, wie er das Glas an die Lippen setzte, einen kräftigen Schluck nahm und sie dann mit ernstem Blick ansah. Offensichtlich suchte er nach den richtigen Worten.
Plötzlich wurde ihr klar, dass es nicht darum ging, dass Pen wieder einmal irgendeine Dummheit angestellt hatte. Die ungute Ahnung, die sie überkam, war zu stark. Sie sah plötzlich Bilder vor sich, wie sie einer weinenden Mutter hatte mitteilen müssen, dass ihr Sohn es nicht geschafft hatte und gestorben war.
„Etwas ist mit Pen geschehen, nicht wahr?“
Drayton nickte. „Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll …“
„Sie ist tot.“ Cass sprach die Worte hastig aus und flehte gleichzeitig inständig, er möge ihrer Feststellung widersprechen.
Er sah überrascht aus, doch dann nickte er. Er begann zu berichten, ruhig, genau, detailliert, doch Cass rauschte das Blut laut in den Ohren. Sie hörte nichts von dem, was er sagte, fühlte nur, dass sie am Rande einer Ohnmacht stand. Sie zwang sich, tief durchzuatmen, zwang sich, nicht bewusstlos zu werden, zwang sich, sich wieder auf seine Stimme zu konzentrieren.
„Das Ergebnis der Autopsie wird am Dienstag vorliegen“, hörte sie ihn sagen.
„Autopsie?“ Cass war entsetzt, für Pen. „Aber das können sie doch nicht machen!“ Pen, die schöne, bezaubernde Pen, die immer so stolz auf ihr Aussehen gewesen war!
„Das müssen sie“, erwiderte Drayton leise. „Das wird immer gemacht, wenn ein plötzlicher Tod eintritt.“
Natürlich. Das war der übliche Hergang. Sie dachte nicht logisch. Der Schock …
Ihr Gefühl der Unwirklichkeit verstärkte sich noch, als Drayton leise fortfuhr: „Tom meinte, du hättest wahrscheinlich nichts von dem Baby gewusst.“
„Ein Baby?“, wiederholte Cass dumpf. War Pens Geheimnis also jetzt heraus?
Drayton sah sie konsterniert an. Das hatte er doch gerade erklärt! „Das Baby, mit dem sie schwanger war. Ein Mädchen. Es ist noch im Krankenhaus.“
Cass schüttelte langsam und ungläubig den Kopf. Pen war also wieder schwanger gewesen.
„Du wusstest es nicht, nicht wahr?“
Wut verdrängte Fassungslosigkeit. „Dieses dumme, unvernünftige Ding!“
Draytons Mundwinkel verzogen sich herablassend. „Wahrscheinlich hat sie deine Reaktion vorausgesehen und dir deshalb nichts gesagt.“
„Mit Sicherheit!“ Cass erinnerte sich an das letzte Gespräch, das sie und Pen über dieses Thema geführt hatten. Sie hatte Pen eindringlich gewarnt, aber Pen hatte ja noch nie auf sie gehört.
„Ja, sie sagte zu Tom, dass du damit ein
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