Julia Extra Band 0193
Problem haben könntest.“
Eine himmelschreiende Untertreibung! Sie spürte Draytons forschenden Blick und wusste, dass er die falschen Schlüsse zog. Mit der Wahrheit hätte sie sich Erleichterung verschafft, aber wie konnte sie die Wahrheit aufdecken, nachdem Pen nun den höchsten Preis für ihre Lügen hatte zahlen müssen?
„Und die Prognose?“, fragte sie stattdessen.
„Welche Prognose?“
„Für das Baby.“
Er runzelte kurz die Stirn über den medizinischen Ausdruck, dann erklärte er: „Das Mädchen ist relativ weit entwickelt, sie sind verhalten optimistisch.“
Cass nickte leicht. „Wie geht es Tom?“
„Er wird damit fertigwerden.“
Cass bezweifelte es. Sie sah Tom Carlisle vor sich – nicht so arrogant wie sein großer Bruder, lange nicht reif, aber sympathischer, schon wegen seiner Unsicherheiten.
„Ich habe alles für die Beerdigung arrangiert. Sie wird Mittwoch stattfinden.“ Eine Äußerung, aus der sich der wahre Sachverhalt erkennen ließ:
Er
hatte sich darum gekümmert, nicht Tom.
„Eine Einäscherung, hoffentlich?“ Cass wollte nur sicherstellen, dass er es auch richtig verstanden hatte.
„Nein, eine Beisetzung. Wieso?“
„Sie wollte keine Beisetzung.“
„Woher weißt du das?“
Es hätte eine ganz normale Frage sein können, aber Cass wusste, was er damit meinte: Wie konnte sie das überhaupt wissen, wenn sie doch während der letzten Jahre kaum Kontakt zu ihrer Schwester gehabt hatte?
Aber sie kannte ihre Schwester besser als jeder von ihnen. Sie hatte mit der echten, der wahren Pen gelebt, nicht mit diesem Kunstprodukt, das sich so verzweifelt bemüht hatte, ein passendes Mitglied der Familie Carlisle zu werden.
„Du kannst sie nicht beisetzen lassen“, wiederholte sie eindringlich. „Seit dem Tod unserer Mutter hatte sie eine panische Angst davor, was mit Körpern in der Erde geschieht.“
Er zweifelte immer noch. „Ich werde mit Tom darüber reden.“
„Tu, was du nicht lassen kannst“, fauchte sie unfreundlich, „aber ich weiß, dass sie eingeäschert werden wollte.“
„Falls Tom dem zustimmt“, lenkte er ein. „Es wird eine kleine Trauerfeier, im engsten Kreis. Nur die Familie.“
Wieder schüttelte Cass den Kopf. „Das wäre auch nicht in ihrem Sinne.“
Jetzt zeigte sein Gesicht ganz deutlich den Unmut. Bisher hatte er Rücksicht auf ihre Trauer genommen, doch ihr harter Ton ließ vermuten, dass sie keine Trauer verspürte. „Verzeih, aber wie solltest du so etwas beurteilen können? Immerhin kann man nicht unbedingt behaupten, dass du und Pen engen Kontakt miteinander gehabt hätten.“
Cass hielt seinem Blick stand. Sie schuldete ihm keine Erklärung für das komplizierte Verhältnis zu ihrer Schwester. „Nein, vielleicht nicht. Aber ich kenne ihre Einstellung zu Beerdigungen. Bei der Beisetzung unserer Mutter bedrückte es sie, dass nur eine kleine Gemeinde von Trauergästen anwesend war, und sie schwor sich, bei ihrer Beerdigung sollten Hunderte anwesend sein. Sie war erst fünfzehn damals …“, Cass musste sich räuspern, doch nahm sich fest vor, vor diesem Mann keine Schwäche zu zeigen, „… aber ich bin sicher, dass solche Gefühle sich nicht ändern. Es sei denn, Pen hätte sich geändert und wäre plötzlich schüchtern und zurückhaltend geworden?“
„Wohl kaum.“ Draytons Lippen wurden schmal. „Ich habe an Tom gedacht, als ich die Arrangements traf.“
„Und ich denke an meine Schwester“, erwiderte Cass hart.
Der Waffenstillstand war zu Ende. Böse funkelten sie einander an.
„Und ich bezahle die Rechnungen.“
Ein unschlagbares Argument. Cass’ Lippen verzogen sich verächtlich. „Du bist ein solcher Widerling, Carlisle.“
Er verzog nur kurz das Gesicht, bevor er zurückschlug: „Und du bist die härteste Frau, die mir je begegnet ist.“
Der Schmerz saß ganz tief unten. Keine Frau wurde gern hart genannt. Aber sie war seit Langem ein Meister darin, ihre Gefühle nicht zu zeigen. „Freut mich, dass du es so siehst.“
„Es war nicht als Kompliment gemeint.“
„Ich weiß.“
Sie starrten einander mit eisern beherrschter Wut an. Cass war die Erste, die den Blick abwandte.
„Ich begleite dich zur Tür.“ Sie erhob sich abrupt, und er folgte ihr wortlos. In der Diele griffen sie beide gleichzeitig nach seinem Mantel, und ihre Hände berührten sich kurz. Cass zuckte zurück, als hätte sie sich verbrannt.
„Ich werde dir schon nichts tun“, knurrte er leise.
„Nein, das würdest du
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