Julia Extra Band 0198
Sie konnte es kaum noch erwarten, mit Tom endlich eine Familie zu gründen.
Die Straße lag dunkel in der Nacht, da es hier keine Lampen mehr gab. Einige Kühe schauten verwundert dem Wagen hinterher, da es nicht oft vorkam, dass nachts hier Verkehr herrschte. Alte knorrige Eichen warfen seltsame Schatten im Sternenlicht. Pippa schlief beinah ein. In Gedanken sah sie ihr Hochzeitskleid vor sich. Der Schneider in der kleinen Stadt hatte es nicht gerade eilig, doch würde er rechtzeitig fertig werden. Das Kleid war ein Traum aus Seide und Perlen. Am nächsten Morgen hatte Pippa die letzte Anprobe. Dafür konnte sie sich nicht freinehmen bei der Arbeit, deshalb musste sie immer bis zum Wochenende warten. Natürlich hatte Tom das Kleid noch nicht gesehen, doch stimmten alle, die schon einen Blick darauf geworfen hatten, darin überein, dass er überwältigt sein würde.
Zu dem Kleid würde Pippa einen Schleier tragen. Und nach langem Suchen hatte sie auch den Brautkranz gefunden. In einem kleinen Geschäft in der Bond Street hatte sie in der Auslage einen Kranz gesehen, der so herrlich gefunkelt hatte, dass sie ihn gleich kaufen wollte, doch hatte das Geschäft leider schon geschlossen gehabt. Sie würde gleich am Montag dorthin zurückkehren. In der Mittagspause blieb ihr gerade genug Zeit, um einige Einkäufe zu machen.
Die Vorbereitungen der Hochzeit hatten mehrere Monate gedauert. Pippa hatte sich mehr als einmal gewünscht, eine Mutter zu haben, die ihr dabei helfen könnte, das Kleid auszusuchen, doch hatte sie keine Verwandten. Und die Hochzeit würde alle ihre Ersparnisse schröpfen, da sie keine Familie hatte, die die Kosten übernahm. Ein Glück nur, dass Tom die Hälfte zahlte. Er trug die Kosten für den Empfang, den weißen Wagen und die Blumen in der Kirche.
Pippa warf ihm einen langen Blick aus den Augenwinkeln zu. In dem schwachen Mondlicht konnte sie sein Profil gut lesen. Tom war ein wunderbarer Mann. Er konnte sanft und warmherzig sein, wusste aber auch genau, was er wollte im Leben. Pippa hatte ihn vor vier Jahren das erste Mal getroffen. Je näher sie ihn kennengelernt hatte, desto mehr hatte sie ihn geschätzt.
Und jetzt … Pippa stöhnte auf. Sie war sich immer noch nicht sicher. Das erste Mal hatte er vor zwei Jahren um ihre Hand angehalten, doch sie hatte den Antrag freundlich, aber bestimmt zurückgewiesen. Genauso wie die nächsten zwei Mal. Zu heiraten war ein wichtiger Schritt, das bedeutete mehr, als zusammenzuleben und ein Bett zu teilen. Das hieß auch, eine Familie zu gründen und immer für die Seinen da zu sein. Pippa selbst war ohne Eltern aufgewachsen. Sie war ein Waisenkind, das zu niemandem gehörte. Wie sehr hatte sie die anderen Kinder beneidet, die genau wussten, wer ihr Vater und wer ihre Mutter war.
Pippa hatte nicht die geringste Ahnung, wer ihre Eltern waren. In einer regnerischen Nacht war sie auf den Stufen eines Krankenhauses ausgesetzt worden. Und danach hatte sich niemand mehr dafür interessiert, was aus ihr geworden war. Eine Familie oder ein Heim konnte es da nicht für sie geben. Wie gut hatten es die anderen Kinder!
Deshalb war es für Pippa doppelt wichtig, sich ihrer Sache ganz sicher zu sein. Eine Hochzeit bedeutete für sie, den Rest des Lebens mit dem Mann zu verbringen, und sie war sich nicht sicher, dass Tom der richtige Partner dafür war. Natürlich mochte sie ihn gern, wusste ihn zu schätzen und konnte ihm vertrauen. Er war ihr Chef. Vier Jahre lang hatten sie in der gleichen Firma gearbeitet, und die Beziehung war immer sehr gut gewesen zwischen ihnen. Pippa war gern mit Tom zusammen. Er sah gut aus, und wenn er sie küsste oder berührte, fühlte sie sich keinesfalls abgestoßen. Sie hatten nicht miteinander geschlafen, da Tom bis zur Hochzeit damit warten wollte. Das hatte Pippa besonders beeindruckt. Auch für ihn war die Hochzeit etwas ganz Besonderes. Sicher war es einfach, Sex miteinander zu haben, doch sie wollten das gemeinsam feiern, um dann miteinander in ein neues Leben aufzubrechen.
Doch jetzt … Wieder seufzte Pippa. Sie spürte genau, dass etwas fehlte. Von Anfang an war sie ehrlich mit Tom gewesen und hatte nicht verhehlt, dass sie ihn nicht liebte. Sie mochte ihn sehr gern – daran bestand nicht der geringste Zweifel –, doch leider war sie sich genauso sicher, dass sie keine Liebe empfand. Und das war doch eigentlich das Wichtigste an einer Hochzeit.
Er hatte ihre Gefühle akzeptiert und hoffte, dass sie es mit der Zeit
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