Julia Extra Band 0198
wirklich müde und abgespannt aus. Die Haut war grau, die Augen wie erloschen.
Vermutlich liegt es an dem Schock, sagte sie sich.
Ich muss jetzt einfach Ruhe finden.
Pippa ging in das Schlafzimmer und ließ sich ins Bett gleiten. Nachdem sie sich unter die Decke gekuschelt hatte, machte sie das Licht aus.
Das Bauernhaus hatte nur zwei Schlafzimmer und ein Badezimmer. Im Erdgeschoss lagen die Küche und ein gemütliches Wohnzimmer mit einer kleinen Essecke. Ihre Firma hatte ihr geholfen, den Kauf zu finanzieren, und das Haus war recht günstig gewesen, da es reichlich heruntergekommen war. Es war jahrelang von einem exzentrischen alten Mann bewohnt worden, und Pippa musste viel arbeiten, um es wieder in Schuss zu bringen.
Der alte Mann hatte das Haus ungefähr in dem gleichen Zustand hinterlassen, wie er es vierzig Jahre zuvor von seinem Vater geerbt hatte. Während all der Zeit hatte er keine Reparaturen oder Verschönerungen vorgenommen. Doch trotz all dieser Nachteile hatte Pippa das Haus sofort gefallen. Nur konnte sie es unmöglich allein bezahlen. Sie verfügte nur über geringe Ersparnisse, doch setzte sie alles daran, endlich ein richtiges Zuhause zu haben.
Die Kindheit hatte sie damit verbracht, von einer Gastfamilie zur nächsten geschoben zu werden. Eine Pflegemutter wollte nur kleine Kinder und konnte nicht mit Teenagern umgehen. Bei einer anderen Gastfamilie hatten sich die Eltern scheiden lassen. Pippa hatte sich immer nach stabilen Verhältnissen in einem richtigen Heim gesehnt. Und jetzt besaß sie ihr eigenes Haus. Dafür konnte kein Preis zu hoch sein.
Auf teure Kleidung und anderen Luxus wie Reisen in ferne Länder konnte sie verzichten. Sie hatte ein Heim, das war alles, was zählte.
Nach dem Ankauf blieb ihr nicht mehr viel Geld, um Arbeiten in dem Bauernhaus durchführen zu lassen. Deshalb hatte sie die Dekoration selbst gemacht. Pippa hatte sogar die Wände allein gestrichen, wobei sie auf einer alten wackeligen Leiter gestanden hatte, die sie auf einer Versteigerung billig erworben hatte. Doch für die Ausbesserung des Daches und das Einbauen eines Badezimmers hatte sie sich an einen lokalen Bauunternehmer gewendet. Das waren Arbeiten, die sie nicht selbst ausführen konnte.
Nach der Hochzeit mit Tom würden sie gemeinsam in diesem Haus leben, Pippa wollte auf keinen Fall umziehen. Und Tom war einverstanden, da es ihm immer weniger gefiel, in einer Siedlung zu leben, da es dort nur so von Nachbarn wimmelte, die nachts die Musik zu laut laufen ließen oder Partys im Garten feierten. Das Leben würde einfacher und ruhiger in dem Bauernhaus sein. Tom hatte darauf bestanden, den Kredit zurückzuzahlen, wenn sie erst einmal zusammenlebten. Gemeinsam verfügten sie über ein komfortables Einkommen, und sie würden sich einen Urlaub in einem sonnigen Land leisten können, um am Strand zu faulenzen.
Pippa starrte in die Dunkelheit und musste unwillkürlich lächeln, so schön war diese Vorstellung. Sie hatte sich niemals Reisen ins Ausland leisten können, jetzt aber sehnte sie sich danach, Länder kennenzulernen, in denen das Wetter besser war.
Plötzlich aber erschauerte sie, da ihr wieder ein anderes Bild vor Augen trat. Der verbeulte Wagen von Tom und der rote Sportwagen, der halb im Graben stand. Und das schreckliche Kreischen des Metalls, als die Autos zusammengestoßen waren. Pippas Herz begann wie wild zu rasen. Entschieden schüttelte sie den Kopf. Das Beste war, nicht mehr daran zu denken. Doch da gab es noch etwas anderes.
Warum gerade jetzt? fragte Pippa sich. Manchmal hatte sie den Eindruck, dass das Schicksal einen besonderen Sinn für Ironie hatte. Nur eine Woche vor der Hochzeit mit Tom war es zu einem Unfall gekommen. Aber nicht mit irgendeinem Mann. Nein, Pippa hatte den anderen genau erkannt. Wieder schloss sie die Augen. Sie musste unbedingt versuchen, Schlaf zu finden.
Sie war in einen unruhigen Schlaf gesunken, doch wachte sie wenig später wieder auf. Ihr Gehirn arbeitete unablässig. Es ließ ihr einfach keine Ruhe. Pippa wälzte sich von einer Seite auf die andere. Sie hörte die Uhr auf dem Nachttisch ticken, als sei es ihr eigener Herzschlag. Zuweilen schlief sie wieder ein, doch war auch der Schlaf keine Erholung. Immer wieder zuckte sie hoch, und es war beinah eine Erleichterung, als um neun Uhr morgens endlich der Wecker klingelte.
Nach einer Dusche zog Pippa sich eine Jeans und ein T-Shirt an und ging nach unten in die Küche, um einen Kaffee aufzusetzen.
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