JULIA EXTRA BAND 0261
Spargelvariationen, die dem Auge schmeichelte und Nell das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ. Sellerie eingelegt in Olivenöl, Artischocken mit Minze, saftige Tomaten mit duftendem Basilikum stellten die überbordende Auswahl kleiner, aber feiner Köstlichkeiten dar. „Wie soll ich danach noch einen Hauptgang runterkriegen?“, seufzte Nell.
„Mangiando, mangiando, viene l’appetito .“
„Wie bitte?“ Nell wollte gerade einen zarten Spargel zum Munde führen, hielt jedoch in der Bewegung inne.
„Das pflegte meine Großmutter zu sagen“, erklärte Luca. „Der Appetit kommt beim Essen.“
Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass er nicht vom Essen sprach.
Die Möglichkeit, mehr Zeit mit Luca zu verbringen, während sie hier in Venedig waren, erschien ihr mit einem Mal sehr reizvoll …
Nein, rief sie sich energisch zur Ordnung, sie machte sich lächerlich. Luca mochte unwiderstehlich sein, aber Nell war nicht der Typ für eine Sommerromanze. Zu viel Verantwortung lastete auf ihren Schultern.
„Schmeckt es Ihnen, Nell?“
Ehrlich gesagt, war sie ein wenig angespannt. „Das Essen ist köstlich.“ Ihr kam in den Sinn, dass schöne Menschen wahrscheinlich immer erwarteten, dass sich ihnen alle Türen von selbst öffneten, noch bevor sie angeklopft hatten. Tagträume waren eine Sache, aber sie musste Luca deutlich machen, dass sich ihre Tür niemals für ihn öffnen würde, keinen Spaltbreit.
Pasta mit Trüffeln wurden gefolgt von knusprigen Pizzaecken und hausgemachter Minestrone. „Nein danke, nicht für mich“, wehrte Nell ab, als der Kellner mit einer farbenprächtigen Früchtekreation kam.
„Mögen Sie keine Melone?“ Luca runzelte die Stirn. „Sie können auch einen anderen Nachtisch haben.“
„Nein, das ist es nicht, nur …“
„Sie sind satt?“
Sie nickte. „Ich weiß, wann ich genug habe.“
Luca kräuselte die Lippen und neigte den Kopf. „Gut. Wollen wir eine kleine Pause machen? Ein Glas Wein noch, vielleicht?“
„Ein halbes, gern.“ Sie musste vorsichtig sein, damit ihr der Alkohol und der Abend nicht zu Kopf stiegen.
Ihr Unbehagen schien ihm nicht verborgen geblieben zu sein. Geschickt wechselte er das Thema und sprach von Molly. Nell entspannte sich. Irgendwann während des Gesprächs verblasste die Erinnerung an seine Dreistigkeit während ihres Vortrags. Nichts erfreute Nell mehr, als über Molly zu sprechen. Sie erzählte Luca, wie Mollys Genesung damals immer weiter fortgeschritten war und sie nach und nach ihr Projekt entwickelt hatte. Nur die Tatsache, dass ihr Zorn über Lucas damaliges Verhalten ihr Ansporn gewesen war, verschwieg sie.
„Das freut mich zu hören“, sagte er. „Manche Kinder haben Glück, andere weniger.“
„Das Krankheitstagebuch hat uns sehr geholfen“, gab sie zu. Damals hatte sie angefangen, täglich aufzuschreiben, wie sich Molly unter der Behandlung entwickelte. So wurden die behandelnden Ärzte immer informiert, was genau passierte, und Nell selbst wurde auch für die kleinen Veränderungen sensibilisiert.
„Führen Sie es immer noch?“, fragte Luca interessiert.
„Jeden Tag.“
„Ich würde das Tagebuch eines Tages gerne mal sehen.“
Nell war überrascht, wie einfach es war, mit Luca zu sprechen. War es möglich, dass Luca selbst begriffen hatte, was es damals für sie bedeutet hatte, aus dem Informationsfluss zu Mollys Krankheit ausgeschlossen worden zu sein? Durfte sie hoffen, dass er ihrem Projekt offen gegenüberstand?
„Halten Sie immer an diesem Tagebuch fest, bitte.“
„Keine Sorge, ich werde nicht nachlässig. Und …“
„Und?“, hakte er nach.
„Ich danke Ihnen“, sagte sie schlicht.
„Ich tue nur meine Arbeit“, erinnerte er sie.
Es war, als habe sie eine Brücke überquert, als sei der Strom, der sie trennte, schmaler geworden. Dennoch fühlte es sich sonderbar an, ihm zu danken, obwohl sie ihm damals, als sie aus Venedig abreiste, doch so zürnte.
„Was genau hat Ihre Organisation uns zu bieten?“
Nell sah überrascht auf. Auf diese Frage hatte sie gewartet und kaum noch zu hoffen gewagt, dass er sie stellen würde. Jetzt ging es nicht mehr um private Themen, und ihre Sinne konnten sich vollends entspannen.
Luca bestellte eine Flasche Tafelwasser, und sie unterhielten sich. Nell gewann an Selbstvertrauen, während sie ihre Projektarbeit detailliert beschrieb. Wie viel Selbstüberwindung es sie gekostet hatte, mit Molly nach Venedig zurückzukehren, brauchte Luca Barbaro nicht zu wissen.
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