JULIA EXTRA BAND 0274
mit Leandro Reyes hatte sie ein wahrhaft himmlisches „Geschenk“ empfangen: ihren gemeinsamen Sohn Raphael.
Die Entdeckung, dass sie ein Kind erwartete, war damals ein gewaltiger Schock gewesen. Sie waren doch so vorsichtig gewesen, doch dann erinnerte sie sich daran, wie sie mitten in der schwülen Nacht im Halbschlaf Leandro im Schlaf hatte murmeln hören: „Isabella … meine Isabella“, bevor er sie an sich gezogen hatte … Raphael war während dieser „unwirklichen“ Momente gezeugt worden, in denen sie beide geglaubt hatten, dass sie träumen würden. Isabella hatte sich nicht entscheiden können, wie sie ihre Zukunft gestalten wollte, und war deshalb über den Jakobsweg gepilgert, um zu sich selbst zu finden, weil sie mit ihrem Lebenals alleinstehende junge Frau auf eine vage Art unzufrieden gewesen war – und nun hatte sich ihr Leben für immer verändert.
Jetzt zwang sie sich, in die Gegenwart zurückzukehren und Natashas Frage zu beantworten. „Ich glaube, darüber solltest du mit Chris selbst sprechen.“
„Aus dir etwas Klatsch herauszuholen ist, als ob man einen Politiker dazu bringen will, die Wahrheit zu sagen! Beides ist schlicht unmöglich! Ich bin immer wieder erstaunt, wie sehr du dich von deiner Schwester unterscheidest. Du besitzt genügend Anstand für ganz England!“
Isabella wandte sich wieder ihrer Freundin zu. Was für eine Ironie des Schicksals! Ihre Eltern warfen ihr vor, keinen Anstand zu besitzen, weil sie mit einem vollkommen Fremden ins Bett gegangen war und sich von ihm hatte schwängern lassen. Und ihre Freunde hielten sie für eine Heilige. „Ich versuche wirklich nicht, päpstlicher als der Papst zu sein; ich finde nur, dass die Angelegenheit nur Chris etwas angeht, das ist alles. Und was Emilia angeht …“ Ihr Gesichtsausdruck verfinsterte sich. „Das Thema möchte ich jetzt lieber nicht anschneiden, ich brauche heute Nacht auch meinen Schlaf!“
Das Verhältnis zwischen den beiden Schwestern hatte sich in den letzten Monaten keineswegs verbessert. Im Gegenteil, seit Isabella ohne das geforderte Interview mit Leandro Reyes aus Spanien zurückgekehrt war, hatte Emilia den Kontakt zu ihrer Schwester auf das Notwendigste beschränkt. Isabella war das nur recht. Von Anfang an hatte sie sich geschworen, mit niemandem über ihr Zusammentreffen mit dem Regisseur zu sprechen. Ihre gemeinsame Zeit war so kostbar, so fantastisch gewesen, dass sie die Erinnerung daran nicht durch Klatsch und Tratsch beschmutzen wollte. Nicht einmal ihre Eltern wussten, wer der Vater ihres kleinen Sohnes war. Und obwohl sie ihr Enkelkind über alles liebten, hatten sie mehrfach bekräftigen müssen, wie sehr ihre älteste Tochter sie wieder einmal enttäuscht hatte.
„Also, wenn du nichts ausplauderst, dann muss ich das wohl akzeptieren und gehe jetzt besser nach Hause.“ Mit der ihr angeborenen Gutmütigkeit hatte Natasha die Enttäuschungdarüber, nichts Neues erfahren zu haben, schon wieder verwunden und nahm Isabella in den Arm. „Ehrlich, ich passe jederzeit gern auf Raphael auf. Er ist ein Schatz, so brav und so niedlich – du hast wirklich alle deine Freundinnen neidisch gemacht!“
„Danke, Natasha. Es ist auch eine große Hilfe für mich, dass ich ihn bei dir in der Kinderkrippe lassen kann, wenn ich in der Bibliothek arbeite. Dann weiß ich, dass er in den besten Händen ist.“
„Das ist doch selbstverständlich. Und vielleicht sehe ich mir am Wochenende sogar den Film an. Ich muss doch überprüfen, ob er wirklich so wunderbar ist, wie du gesagt hast.“
„Du wirst bestimmt nicht enttäuscht sein, das verspreche ich dir.“
Schon jetzt war der Film für Isabella ungeheuer wichtig geworden – bildete er doch eine weitere kostbare Verbindung zu dem Mann, dem sie vor so vielen Monaten ihr Herz geschenkt hatte, dem Mann, der, ohne es zu wissen, der Vater ihres Babys war.
Beim Durchsuchen des Inhalts seiner Brieftasche nach einer Telefonnummer fiel Leandro die kleine goldene Visitenkarte vom Hotel seines Freundes Benito in die Hände. Seit der Nacht, als er Isabella dorthin gebracht hatte, war er noch nicht wieder mit ihm in Kontakt getreten. Jetzt ließ er sich in den Ledersessel an seinem Schreibtisch fallen und runzelte konzentriert die Stirn. Viele verstörende Empfindungen flammten in ihm auf, als er grüblerisch die kleine Karte betrachtete. Eine Hitzewelle überwältigte ihn bei der Erinnerung an diese erstaunliche, sexuell aufgeladene Nacht, die er mit
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