JULIA EXTRA BAND 0274
Isabella verbracht hatte. Isabella …
Eine große Sehnsucht breitete sich in seinem Innern aus bei dem Gedanken an diese dunkelhaarige Engländerin, in die er so verliebt gewesen war, dass er sie bei ihrem ersten Treffen verführt hatte. Plötzlich spürte er eine schmerzhafte Leere in sich. Oft hatte er an sie denken müssen seit ihrem Abschied vor Isabellas Hotel in Vigo, und schon häufig hatte er seine übertriebene Vorsicht bedauert, die ihn dazu veranlasst hatte, ihr seine Telefonnummer zu verweigern.
Was sie wohl jetzt machte? Hatte ihr die Wanderung über den Jakobsweg die Klarheit und die neuen Ziele gebracht, die sie sich davon versprochen hatte? Er war sich sicher, dass sie gefunden hatte, was sie suchte. Im Gegensatz dazu war es in seinem eigenen Leben drunter und drüber gegangen. Er hatte zwar mehr Anerkennung für sein Werk bekommen, als er sich je hätte träumen lassen, sogar Angebote aus Hollywood waren dabei gewesen. Doch zur gleichen Zeit hatte ihn ein schwerer Schicksalsschlag getroffen: der Tod seines Vaters.
Plötzlich bedeutete Leandro die Arbeit nichts mehr. Der tragische Unfall seines Vaters, dessen Leben ihm in einem kurzen furchtbaren Moment von einem betrunkenen Autofahrer genommen worden war, überschattete alles für ihn bisher Wichtige.
Sie hatten eine außergewöhnliche Beziehung zueinander gehabt. Abgesehen davon, dass er ein äußerst liebenswürdiger und umgänglicher Mann gewesen war, war Vincente Reyes auch ein großer Fan der Filme seines Sohnes gewesen. Leandro war jedoch nicht in der Lage gewesen, den größten Wunsch seines Vaters zu erfüllen: seinen Sohn als Ehemann und Vater zu sehen. Aber Leandro hatte schon seit fast drei Jahren keine feste Freundin mehr gehabt. Eine Beziehung kam für ihn nicht infrage, da sein Leben ganz von seiner Filmarbeit in Anspruch genommen wurde.
Doch als er sich jetzt an die intensiven Gefühle erinnerte, die Isabella in jener Nacht in ihm ausgelöst hatte, zog er ernsthaft in Erwägung, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Der Verlust seines Vaters und die grausame Einsicht, dass das Leben jederzeit zu Ende gehen konnte, machten Leandro klar, wie wichtig eine echte Beziehung war. Automatisch griff er nach dem Telefon und wählte die Nummer seines Reisebüros.
Es war ein langer Tag gewesen, ihre schmerzenden Füße waren der beste Beweis dafür. Heute Morgen war sie um neun Uhr zur Arbeit gekommen, jetzt war es schon kurz nach fünf – und die ganze Zeit über hatte sie gestanden. Seit sie Mutter geworden war, schaute sie viel öfter auf die Uhr als früher, denn die Zeit war plötzlich viel kostbarer geworden.Ihr tat jede Sekunde leid, die sie nicht bei ihrem kleinen Jungen sein konnte. Noch einmal sah sie auf die Wanduhr hinter sich und stapelte einige Briefe vor sich auf dem Schalter, die sie auf dem Heimweg zur Post bringen wollte. Als sie den Kopf hob, verschlug es ihr den Atem: In der Eingangstür der Bücherei stand … Leandro!
Träumte sie? Sie musste sich mit beiden Händen auf den hölzernen Tresen stützen. Sogar aus der Entfernung brannten seine faszinierenden silbrigen Augen mit einer solchen Hitze, dass sie ganz weiche Knie bekam. Er trug einen modischen langen schwarzen Mantel zu ebenfalls dunklem Hemd und Jeans und brachte mit seinem zerzausten Haar, seinem kantigen Kinn und seiner mediterranen Hautfarbe einen unwiderstehlichen, gefährlichen Reiz in die ruhige Umgebung der Stadtbücherei. Isabella bemerkte, wie ihr der Mund trocken wurde, als er sich näherte, und sie wusste, dass sie nicht die Einzige war, die ihn beobachtete. Der Mann war einfach unwiderstehlich …
„ Buenos días, Isabella.“
„Wie … wie hast du mich hier gefunden?“
Er lächelte, und Isabella sah, wie sich ein attraktives kleines Grübchen neben seinem Mundwinkel bildete. „Ich habe begonnen, mich durch alle Bibliotheken der Gegend zu arbeiten, ob du es glaubst oder nicht. Dies ist die dritte, bei der ich es versucht habe … Glück gehabt, nicht?“
Vage erinnerte Isabella sich jetzt daran, dass sie ihm kurz vor ihrem Abschied erzählt hatte, dass sie in Highgate arbeitete. Aber warum hatte er achtzehn Monate gewartet, bis er nach ihr suchte? Und warum war er jetzt überhaupt gekommen? „Ich verstehe nicht, was du hier willst?“, erwiderte sie atemlos und strich sich unbewusst mit der Hand über ihren Bauch, in dem ein ziemlicher Aufruhr herrschte.
Isabella war mit Sicherheit die attraktivste Bibliothekarin, die Leandro je gesehen hatte.
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