JULIA EXTRA Band 0276
welchem Hotel sie abgestiegen ist.“
Der Ausblick vom Dach des Grande Bretagne war beeindruckend. Das elegante alte Hotel befand sich direkt am Rand eines der reichsten Viertel des Stadtzentrums und überblickte Syntagma Square, das griechische Parlament und die Nationalgärten. Zu Fuß konnte man von hier aus verschiedene Sehenswürdigkeiten erreichen, allen voran natürlich die Akropolis und den Präsidentenpalast.
Unter normalen Umständen hätte sie diese interessanten Informationen buchstäblich aufgesogen, aber in diesem Augenblick fiel es ihr außerordentlich schwer, sich zu konzentrieren. Zu sehr irritierte sie das Gefühl, wie der Ärmel von Mikos Christopoulos’ Smoking ihren nackten Arm streifte.
Mikos stand dicht neben ihr, sehr dicht, und blies beim Sprechen seinen Atem in ihr Haar. Seine Stimme, schwarz wie die Nacht und verführerischer als Schokolade, bezauberte sie mit ihrem exotischen Akzent. Seine enorme maskuline Ausstrahlung umwebte sie mit einem Netz von sexueller Anspannung, und Gina fühlte sich wie ein Schmetterling, der rettungslos gefangen war.
Offenbar war sich Mikos seiner Wirkung auf sie nicht bewusst, denn er deutete ungerührt auf einen Häuserblock östlich des Hotels. „Dort unten ist Kolonaki, eine der begehrtesten Gegenden Athens. Es wird oft als Botschaftsviertel bezeichnet, verfügt allerdings auch über jede Menge Gewerbeflächen und einige exklusive Apartmenthäuser.“
„Aber dort wohnen Sie nicht, oder doch?“, fragte sie abwesend und bemühte sich verzweifelt, dabei einigermaßen vernünftig zu klingen. „Im Ballsaal sprachen Sie von einem anderen Stadtteil.“
„Richtig, Lykabettos Hill.“ Er legte seine warmen Hände auf ihre Schultern und drehte sie behutsam ein Stück zur Seite. „Man kann es gut von hier aus erkennen. Dort! Aber ich arbeite in Kolonaki, im Tyros-Bürokomplex.“
Die Erwähnung von Tyros’ Namen riss Gina in die Gegenwart zurück, und sie erinnerte sich an das, was sie überhaupt nach Griechenland geführt hatte. In möglichst neutralem Ton fragte sie: „Wie lange arbeiten Sie schon für ihn?“
„Fast mein halbes Leben, aber nicht die ganze Zeit über in meiner heutigen Position.“
„Dann kennen Sie ihn gut?“
„So gut wie jeder andere, ja.“
„Was für ein Mann ist er? Ich meine, abgesehen von seinem Reichtum und seiner Berühmtheit.“
Über diese Frage dachte Mikos eine Weile nach, bevor er antwortete: „Unzerstörbar. Wie Sie wissen, ist er gerade achtzig Jahre alt geworden, aber er ist noch immer ein Vorstandsvorsitzender, der die Zügel selbst in der Hand hält. Jeden Morgen um neun sitzt er an seinem Schreibtisch, und dasselbe erwartet er auch von allen anderen. Er ist außerordentlich stolz auf die Tatsache, dass er in seinem ganzen Leben noch keinen Arbeitstag verpasst hat. Nicht als seine Frau starb und auch nicht als sein einziger Sohn vor etwa dreißig Jahren bei einem Autorennen ums Leben kam.“
Das passt zu ihm, dachte Gina verbittert. Wen kümmert die Familie, wenn man in der Zeit noch mehr Geld scheffeln kann? „Und einen solchen Mann bewundern Sie?“
„Ich respektiere ihn, ich bin ihm dankbar, und ich mag ihn sehr, sehr gern. Vielleicht stimmen wir mit unseren Ansichten oder Entscheidungen nicht immer überein, aber ohne Angelo Tyros wäre ich heute nicht da, wo ich bin.“
Genau wie meine Mutter! fluchte Gina innerlich.
Ihre Missbilligung war ihr offensichtlich anzumerken, denn Mikos legte fragend den Kopf schief, um sie genauer betrachten zu können. Dabei fiel ihr auf, dass seine Augen nicht dunkelbraun waren, wie sie es bei einem Mann erwartet hatte, der in jeder anderen Hinsicht dem Stereotypen eines griechischen Gottes entsprach. Sie waren hell und grün, umrahmt von dichten schwarzen Wimpern, und strahlten eine betörende Intelligenz aus. Diesem Mann konnte man nicht so leicht etwas vormachen.
Daran werde ich stets denken, nahm sie sich vor und wandte ihren Blick ab, um sich in den Tiefen seiner Augen nicht zu verlieren. Wenn ich meine Karten richtig ausspiele, kann Mikos mich Angelo Tyros vorstellen.
Ohne Mikos’ Hilfe hatte eine unbedeutende Reporterin wie sie nicht die geringste Chance, auch nur in die Nähe des alten Mannes zu gelangen. Seine Armee von Einschmeichlern würde sie daran hindern, sobald sie wieder einen Fuß in den Ballsaal setzte.
Er interpretierte ihr Schweigen als Ablehnung und sagte: „Falls ich den Eindruck vermittelt habe, er wäre ein gefühlloser, kalter
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