Julia Extra Band 0305
hoffte, sie würde nicht so verzagt klingen wie sie sich fühlte.
„Sie?“, fragte er ungläubig, während er den Kopf hob, um sie zu betrachten. Ihr schien, dass er für einen langen Augenblick tief in ihre Seele sah. Dann schüttelte er den Kopf und fuhr fort: „Sie haben also dieses unglaubliche Talent, obwohl Sie bedienen ?“
Faye war zu überrascht, um das Missfallen, das in seiner Stimme mitgeschwungen hatte, zu bemerken. Vielmehr kam sie seinem Wunsch nach, sich zu ihm zu setzen. Sie erklärte ihm dann, dass ihrem Vater das Restaurant gehöre und sie hier nur gelegentlich arbeitet, während sie auf ihr Abschlusszeugnis warte. Außerdem arbeite sie hier mit Begeisterung, genauso wie sie es liebe, Dinge zu entwerfen. Daher habe sie sich noch nicht entschieden, ob sie studieren oder sich um einen Job im Marketing bewerben solle. Jedenfalls habe ihr Vater sie in diesem Sommer endlich die Speisekarten umgestalten lassen.
Nachdem er ihr etliche Fragen gestellt hatte, wurde ihr bewusst, dass sie übers ganze Gesicht strahlte. Ihr schien, als ob sie bisher unsichtbar gewesen sei und er sie nun in helles Sonnenlicht getaucht und sie so gesehen habe, wie sie wirklich war.
„Meine Angestellten, die eine mehrjährige Ausbildung absolviert haben“, meinte er und verlor sich einen Moment in der Bewunderung ihres Talents, „sind nicht mal in der Lage, etwas auch nur halb so Ausgefallenes zu entwerfen.“
Dies war der Augenblick, in dem sich ihr Leben für immer verändert hatte. Denn während sie ihn mit großen Augen überrascht ansah, verkündete er, dass er der Besitzer des erfolgreichsten neuen Restaurants und Hotels in Rom sei und dass er das Restaurant ihres Vaters nicht eher verlassen würde, bis sie zugestimmt habe, in seinem Team mitzuarbeiten.
Sie hatte das Gefühl, den ersten Preis in einem Wettbewerb gewonnen zu haben, von dem sie nicht einmal wusste, dass sie daran teilgenommen hatte. Wie aus dem Nichts war dieser Mann aufgetaucht, der sich von den Jungen in ihrem Alter unterschied wie Wein von Wasser. Er war exzellent gekleidet, sah exotisch aus und hatte eine Ausstrahlung, die sie in seinen Bann zog. Und er wollte, dass sie für ihn arbeitete, in dem Bereich, den sie am meisten liebte.
Faye erinnerte sich noch genau, wie aufgeregt sie gewesen war, als sie ihren stolzen Eltern zum Abschied winkte. Nachdem sie dann in Rom gelandet war, hatte er sie mit seinem roten Sportwagen persönlich vom Flughafen abgeholt, um dafür zu sorgen, dass sie sicher ankam. Doch sie war ihm schon vorher verfallen. Selbst wenn er auf einem Moped gekommen wäre und ihr gestanden hätte, dass er eigentlich nur ein Pizza-Bote sei, wäre sie genauso bezaubert von ihm gewesen. Aber er war tatsächlich all das, was er behauptet hatte zu sein – und noch mehr. Bei ihm hatte sie nicht nur die glamouröse Welt eines 5-Sterne-Hotels kennengelernt. Nein, in Rom hatte sie ihre Unschuld verloren. Und ihr Herz.
Ja, diesmal war es ganz anders, im Il Maia zu sein. Damals war sie erfüllt gewesen von einem Gefühl der Freiheit und der Vorfreude, während sie sich jetzt wie eine Gefangene fühlte, der keine andere Hoffnung mehr blieb als diese eine. Sollte sie allerdings gezwungen sein, die Trostlosigkeit der letzten sechs Jahre noch einmal erleben zu müssen, um dadurch das Matteson’s zu retten, würde sie sich dem stellen.
Mit grimmiger Entschlossenheit öffnete Faye ihren Koffer und hängte die wenigen Kleidungsstücke, die sie mitgebracht hatte, in den riesigen Schrank. Sie seufzte. Ihre Kleider waren nicht für ein Abendessen gedacht, ganz zu schwiegen von einem Essen in einem von Dantes exklusiven Restaurants. Es war schon lange her, seit sie einer Verabredung mit einem Mann zugestimmt hatte. Wobei es sich an diesem Abend nicht um eine klassische Verabredung handelte, wie sie feststellen musste. Den Anflug von Bedauern darüber verdrängte sie.
Sie hielt das einzige Kleid hoch, das sie mitgebracht hatte – ein farngrünes Wickelkleid, das eigentlich zu kurz war. Sie hatte es mitgenommen, weil sie wusste, dass es hier im September immer noch drückend warm sein konnte. Etwas anderes hatte sie nicht dabei. Aber was sollte sie machen, wenn er es für unpassend hielte? Er konnte wohl kaum annehmen, dass sie diesen Abend eingeplant hatte. Für das Kostüm, das sie zu diesem Treffen angezogen hatte, waren ihre letzten Ersparnisse draufgegangen. Dummerweise hatte sie geglaubt, ihm vormachen zu können, sie brauche nur eine kleine
Weitere Kostenlose Bücher