Julia Extra Band 0305
Schluchzen begleitet. Althea weinte, wie sie noch nie geweint hatte – laut, hemmungslos, am ganzen Körper bebend. Kraftlos ließ sie sich auf die Knie sinken, schlang die Arme um sich, den Kopf gebeugt, sodass ihr nasses schwarzes Haar den Boden berührte.
Sie weinte und weinte, ließ ihren Tränen freien Lauf, bis sie irgendwann von selbst verebbten und nur noch ihr zittriger Atem zu hören war.
Demos war noch da. Sie wagte nicht, zu ihm aufzusehen, doch er legte ihr ein flauschiges Handtuch um die feuchten Schultern, griff nach ihrer Hand und zog sie hoch. Widerstandslos ließ sie sich von ihm ins Schlafzimmer führen, wo er sie wie ein kleines Kind abrubbelte, bevor er das Bett aufdeckte. Althea schlüpfte hinein, rollte sich zusammen und schloss die Augen.
Sie hörte Demos aus dem Zimmer gehen und wieder hereinkommen, aber jedes Zeitgefühl war ihr verloren gegangen. Es war dunkel im Raum, nur der Mond warf einen silberhellen Strahl quer über den Fußboden.
Demos schaltete die Nachttischlampe ein, stellte eine Tasse dampfend heiße Milch daneben, setzte sich auf die Bettkante und wartete.
Nach einer Weile richtete Althea sich auf und trank einen Schluck. „Danke“, sagte sie leise. Er saß mit finsterer Miene da und schien auf eine Erklärung zu warten.
Und die hatte er verdient. Sie wollte ehrlich zu ihm sein.
„Wie ich schon sagte“, begann sie stockend, „meine Mutter starb, als ich dreizehn war. Ich liebte sie, aber wir standen uns nie besonders nahe. Ich schätze, sie war nicht glücklich in ihrer Ehe.“ Althea hielt die dickbauchige Milchtasse umklammert, als wollte sie sich daran wärmen. „Nach ihrem tödlichen Autounfall war mein Vater am Boden zerstört. Ich natürlich auch. Es ließ uns beide noch enger zusammenrücken. So merkwürdig es klingen mag … es war eine gute Zeit für uns beide.“
Es schmerzte, an die wenigen glücklichen Monate mit ihrem Vater zurückzudenken. Beinahe spürte sie noch, wie sie ihre kleine Hand vertrauensvoll in die seine legte, in sein liebevoll lächelndes Gesicht aufblickte. Damals hatte sie geglaubt, er würde sie lieben. Und sie beschützen.
„An den Wochenenden nahm er mich mit zum Strand, und wir suchten bunte Glasscherben, rund geschliffen wie Edelsteine. Wir hatten eine bemerkenswerte Sammlung davon und nannten sie unsere Glassteinsammlung.“ Nach kurzem Zögern fuhr sie fort: „Nach einigen Monaten fürchtete er wohl, wir könnten uns zu sehr abkapseln, und verbrachte wieder mehr Zeit im Büro. Hin und wieder brachte er Essensgäste mit nach Hause, meistens Männer. Mir hatte es besser gefallen, mit ihm allein zu sein.“ Sie trank einen großen Schluck Milch und wandte den Blick von Demos’ kantigem Profil ab.
„Einer dieser Männer“, sagte sie leise, jedes Wort sorgfältig artikulierend, „mochte mich sehr gern. Zu gern“, setzte sie mit trockener Kehle hinzu.
Sie hörte Demos scharf einatmen, sah ihn aber nicht an aus Furcht, Mitleid oder Verachtung in seinen Augen lesen zu müssen.
„Mein Vater bat mich eines Tages, diesem Mann unsere Glassteinsammlung zu zeigen. Oben in meinem Zimmer.“ Erneut durchlebte sie die Momente gestohlener Kindheit, geraubter Unschuld. Hörte die atemlose Stimme an ihrem Ohr, das heisere Flüstern: Komm, sei ein braves Mädchen …
Unaufhaltsam stürzten die Erinnerungen auf sie ein. Sie schloss die Augen, schüttelte hilflos den Kopf. Dann spürte sie Demos’ Hand auf ihrer Schulter, ein warmes, tröstliches Gefühl, das ihr Halt gab.
„Wie lange?“, fragte er nur.
„Bis ich fünfzehn war. Es wurde besser, als mein Vater mich ins Internat schickte und ich nur noch in den Ferien nach Hause kam.“
„Und dann?“
Sie schluckte. „Dann verlor der Mann das Interesse an mir. Er tat, als sei nie etwas gewesen.“ Mehr sagte sie nicht. Mehr konnte sie nicht sagen.
Demos’ Hand schloss sich fester um ihre Schulter. „Und weiter, Althea?“
Sie spürte seinen durchdringenden Blick und hatte Angst vor seinem Urteil, seiner Verärgerung, seiner Enttäuschung.
„Bitte, lass mich in Ruhe“, flüsterte sie, die Arme um die Knie geschlungen. „Was willst du denn noch hören?“
„Die ganze Wahrheit“, erwiderte er ruhig, ergriff ihre Hände und drückte ihren Körper, den sie unbewusst hin und her wiegte, sanft in die Kissen nieder.
„Nein, lass das!“, stieß sie hervor angesichts der finster entschlossenen Miene, mit der er sich über sie beugte.
Demos stieß einen ärgerlichen Laut
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