Julia Extra Band 0313
mich noch nie gefragt.“
„Nein?“ Sie rang sich ein Lächeln ab. „Jedenfalls wurde es immer schlimmer. Schließlich mochte ich mich nicht einmal mehr vor deinen Augen ausziehen und ertrug den Gedanken nicht, mit dir zu schlafen, weil ich befürchtete, du würdest dich vor mir ekeln. Ich war völlig verunsichert.“
„Das darf doch alles nicht wahr sein!“ Leandro sprang auf und starrte zum Pool. Verzweifelt rang er um Fassung. „Es ist unvorstellbar, dass ich davon überhaupt nichts bemerkt habe. Offensichtlich bin ich ziemlich begriffsstutzig.“
„Nein, ganz im Gegenteil. Du bewegst dich einfach in anderen Kreisen. Du nimmst alles als gegeben hin. Die Frauen, mit denen du vor mir zusammen warst, wissen, wie sie ihr Haar stylen, was sie anziehen, worüber sie sich unterhalten, was sie essen müssen und wie viel sie höchstens wiegen dürfen.“
„Wer bestimmt das?“
„Die Gesellschaft.“
„Und das lässt du dir gefallen?“
„Eigentlich nicht, aber ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen. Du solltest dich nicht für mich schämen müssen.“
„Allmählich wird mir alles klar. Warum hast du mir nie gesagt, wie du dich fühlst? Wir hätten doch über alles reden können.“
„Es fällt einem nicht gerade leicht, zuzugeben, dass man sich unattraktiv und fehl am Platz fühlt. Ich hatte Angst, das Thema anzusprechen. Und wir hatten große Probleme, die man mit Worten allein nicht aus der Welt hätte schaffen können. Nach dem Überfall wusste ich, dass Narben zurückbleiben würden. Da ich auch ein Bein gebrochen hatte, war ich sehr lange im Krankenhaus. Dort ist mir endgültig klar geworden, dass du nicht mit jemandem wie mir zusammen sein willst und kannst.“
„Bist du allein zu diesem Schluss gelangt?“, fragte er wütend.
„Ja. Für dich muss immer alles perfekt sein“, erwiderte sie leise. „Und ich war alles andere als perfekt. Jetzt weniger denn je.“
„Unsinn. Unser Problem besteht darin, dass wir nicht miteinander geredet haben. Inzwischen begreife ich auch, warum du mich so schnell verurteilt hast, als du mich mit deiner Schwester gesehen hast. Dein Selbstvertrauen war auf dem Nullpunkt, daher ist dir gar nicht in den Sinn gekommen, dass ich dir treu sein könnte. Anscheinend hattest du dich resigniert damit abgefunden, dass ich eine Affäre habe. Du hast angenommen, ich wäre lieber mit deiner Schwester zusammen als mit dir.“
Habe ich mich etwa geirrt?, überlegte Millie. Langsam kamen ihr Zweifel. „Du und Becca – ihr habt viel besser zusammengepasst. Selbst wenn es damals nicht passiert wäre – mit ihr –, hättest du mich irgendwann betrogen. Vielleicht hast du mich anfangs wirklich attraktiv gefunden, aber das war sicher nur der Reiz des Neuen. Und der wäre bald verflogen. Wir passen einfach nicht zueinander, Leandro.“ Sie zog den Bademantel fester um sich.
„Es ist unglaublich, was du mir alles unterstellst, Millie.“
„Hast du mich denn gesucht?“ Müde stand sie auf und lauschte dem leisen Wellenschlag des Wassers im Pool. Aus der Ferne hörte man das Rauschen des Mittelmeers und die zirpenden Zikaden, die ihr Gutenachtlied angestimmt hatten. „Wenn ich dir wirklich etwas bedeute, hättest du mich gefunden. Du hättest Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um mich aufzuspüren. Aber du hast keinen Finger gerührt. Du hast nicht einmal nach mir gesucht, als meine Schwester dir das Baby geschickt hat.“ Millie versuchte, ihre Emotionen zurückzuhalten. „Ich gehe jetzt ins Bett. Wir können uns morgen weiter unterhalten. Darf ich dich um einen Gefallen bitten?“
„Klar.“
„Was bisher geschehen ist, spielt keine Rolle. Nur die Gegenwart zählt. Und ich bin die, die ich heute bin. Ich kann verstehen, dass du dich scheiden lassen willst.“ Nach kurzem Schweigen fügte sie hinzu: „Aber würdest du mir bitte das Sorgerecht für Costas überlassen? Leider habe ich nicht die Mittel, es gerichtlich durchzusetzen, und bin auf dein Verständnis angewiesen. Ich bin seine Tante, Leandro.“ Sie sah ihm seine Anspannung an. „Bitte denk darüber nach.“ Damit wandte sie sich um und kehrte ins Haus zurück.
9. KAPITEL
Leandro stand an der Tür des Gästezimmers und betrachtete die schlanke Gestalt unter der Seidenbettdecke.
Sie erinnerte ihn an ein verletztes Tier, das sich verkrochen hatte.
Ich habe sie verletzt, dachte er. Hatte er ihr nicht zu bedenken gegeben, dass auf einem Bild mehr passiert, als es auf den ersten Blick den Anschein
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