Julia Extra Band 0319
in Ruhe umzusehen. Zumindest wäre sie gern kurz auf der Toilette verschwunden, um sich zu kämmen. Als sie aus der U-Bahn-Station gekommen war, hatte es in Strömen geregnet, und nun war ihre Frisur völlig ruiniert.
Doch sie hatte keine Zeit! Die Informationsveranstaltung sollte um zehn Uhr beginnen, und Felicity war schon jetzt eine Viertelstunde zu spät. Eigentlich kam sie immer pünktlich, doch ihr Zug hatte mehr als eine halbe Stunde mitten auf der Strecke von Nordengland nach London gestanden, sodass ihr Zeitplan wie eine Seifenblase zerplatzte.
Die Rezeptionistin wies ihr den Weg zum Konferenzraum, und nach einem Dauerlauf durch scheinbar endlose Flure stand Felicity nun endlich vor der richtigen Tür. Dort wurde sie von einer attraktiven jungen Frau empfangen, die sich als Noor vorstellte.
„Wir freuen uns, dass Sie kommen konnten“, sagte sie mit einem freundlichen Nicken, bei dem ihr streng und akkurat hochgestecktes Haar sich keinen Millimeter bewegte. Noor trug ein marineblaues Kostüm und hielt einen Stift in der perfekt manikürten Hand. „Hier sind die Unterlagen über das Klinikum und die angegliederte Universität, die in wenigen Wochen eröffnet wird“, erklärte sie, während sie Felicity eine dicke Mappe überreichte. „Jetzt werde ich Sie erst einmal hineinbringen. Am besten warten Sie hinten, bis der Vortrag beendet ist, und suchen sich dann unauffällig einen Platz“, riet sie. „Wir sind wirklich sehr erleichtert, dass Sie noch gekommen sind, denn wir brauchen ganz dringend gute Hebammen.“
Die warmherzige Begrüßung der Assistentin ließ Felicity ein wenig entspannen. Sie musste zugeben, dass bisher jeder Kontakt mit dem Zaraqua Hospital ausgesprochen freundlich gewesen war, und diese Tatsache ließ Schuldgefühle in ihr aufwallen. Allerdings, versuchte sie sich selbst zu beruhigen, hatte sie von Anfang an mit offenen Karten gespielt. Man wusste, dass sie bereits die Zusage für einen anderen Job hatte, für den sie nur noch den Vertrag unterschreiben musste. Zu dieser Informationsveranstaltung war sie nur erschienen, um sich wirklich sicher zu sein. Eigentlich aber stand ihre Entscheidung für das andere Krankenhaus längst fest.
Der Konferenzraum war verdunkelt, ein riesiger Bildschirm war die einzige Lichtquelle. Leise trat Felicity ein und hielt sich im Hintergrund. Während sie dem Vortrag lauschte, gerieten all ihre Pläne ins Wanken. Träumerisch betrachtete sie die Bilder der weiten, goldenen Strände und des in der Sonne glitzernden Mittelmeeres. Das Königreich Zaraq, so erfuhr sie, war ein unabhängiger, fortschrittlicher Staat mit einer jahrhundertealten Tradition. In Kürze würde die neue Universität öffnen, die auch Frauen zuließ, sodass die Studentinnen ihre Heimat für einen erstklassigen Hochschulbesuch nicht länger verlassen mussten.
Als die Bilder der Klinik gezeigt wurden, schenkte Felicity dem Vortrag ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Die Kamera zeigte helle Flure, glitt über geschmackvoll eingerichtete Zimmer und großzügige Behandlungsräume mit modernsten Geräten. Beeindruckt hörte Felicity, dass das Krankenhaus jedem Einwohner Zaraqs offenstand.
Sie war so konzentriert, dass ihr zunächst nicht auffiel, wie jemand leise den Raum betrat und sich neben sie stellte. Erst als sie den leichten Duft eines Aftershaves wahrnahm, bemerkte sie den Mann an ihrer Seite. Der Unbekannte strahlte eine solche Männlichkeit aus, dass sie sich ihm unvermittelt zuwandte. Sie begrüßte ihn mit einem kaum sichtbaren Kopfnicken und wollte sich sofort wieder dem Vortrag widmen. Doch etwas an ihm ließ sie nicht mehr los.
Selbst in der Dunkelheit des Raumes war seine Attraktivität unschwer erkennbar. Wie gebannt betrachtete sie seine wie gemeißelt wirkenden Gesichtszüge, die gerade Nase und die markanten Wangenknochen, seine dunklen Augen. Plötzlich trafen sich ihre Blicke. Er lächelte ihr kurz zu, und Felicity zwang sich, ihre Aufmerksamkeit wieder der Präsentation zuzuwenden. Dennoch spürte sie, wie sie errötete, und starrte weiter nach vorn und gab dem Bedürfnis nicht nach, noch einmal verstohlen den Fremden anzusehen.
Doch allein seine Gegenwart wühlte sie vollkommen auf. Kein Wort des Vortrags drang mehr in ihr Bewusstsein. Es war nicht nur der herbe Duft des Fremden, auch nicht der tiefe Blick seiner dunklen Augen. Etwas, das sie nicht in Worte fassen konnte, zog sie magisch in seinen Bann. Stundenlang hatte Felicity im Zug nach London gesessen,
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