Julia Extra Band 0319
überstehen. Ich nehme mir ein Zimmer.“
An ihren Kontostand allerdings durfte sie dabei nicht denken. Doch plötzlich ergriff sie ein Gefühl der Erregung, als sie daran dachte, unvermittelt eine Nacht in der Hauptstadt zu verbringen. Es war so lange her, dass sie sich Zeit für private Bedürfnisse genommen hatte. Seit Georgie krank war, schienen ihre Mutter oder ihre Schwester sie ständig zu brauchen, und die Nachtdienste, die sie machte, um den Kredit zurückzuzahlen, raubten ihr alle Kraft. Es würde wunderbar sein, einen Abend ganz für sich allein zu haben.
Karim liebte London.
Bisher war er nur selten in der Stadt gewesen, doch seit die Klinik und die Universität Personal für Zaraq anwarben, kam er häufiger hierher und nutzte die Gelegenheit, um seine Mutter zu besuchen und Geschäftspartner zu treffen. Dennoch hatte er für seinen Geschmack zu wenig zu tun. Viel weniger als auf Zaraq – bisher jedenfalls. Karim atmete tief durch.
Es war schier unmöglich, sich über Millionengeschäfte zu freuen, wenn dieses Geld im unermesslichen Reichtum seiner Familie unterging.
Und auch die Bewerberauswahl begann ihn zu langweilen. Die Gründung des Klinikums und der Universität waren sein Vorschlag gewesen, und kurzfristig hatte die Umsetzung der Idee ihn beflügelt. Doch Karim wollte keine langweiligen Filme sehen und Hochglanzprospekte durchblättern – er wollte selbst im Krankenhaus arbeiten.
Sein größter Wunsch war, Patienten zu heilen, komplizierte Operationen durchzuführen und jeden Tag eine Aufgabe zu haben. Er wusste, dass er intelligent und begabt genug war. Doch seine gesellschaftliche Stellung ließ es nicht zu, dass er als einfacher Arzt arbeitete.
Gerade deshalb genoss er die Anonymität der Großstadt. Hier war er einfach ein wohlhabender Mann, der sich einen schönen Abend mit allen Annehmlichkeiten gönnte. Niemand erkannte ihn, wenn er durch die Straßen schlenderte – ohne Geleitschutz, auch wenn seine Sicherheitsleute ihn davor warnten. Er schlug den Kragen des langen Kaschmirmantels hoch, den er über seinem dunklen Anzug trug, und hob das Gesicht in den feinen Regen. Er liebte den Wechsel der Jahreszeiten, den er erst hier kennengelernt hatte. Am Wochenende würde er aufs Land fahren, wo es um diese Jahreszeit besonders schön war. Vielleicht, dachte er, mochte er den Oktober mit seinen warmen Farben sogar am meisten von allen Monaten.
Unwillig reagierte er auf das Klingeln seines Mobiltelefons. Es war wieder einmal Leila. Er würde Khan, seinem Assistenten, auftragen, mit ihr zu sprechen, damit sie ihn nicht länger belästigte. Vor wenigen Tagen hatte er sich von Leila getrennt, und sie war am Boden zerstört gewesen – aber welche Frau war das nicht?
Nun, er würde jedenfalls aufs Land fahren, und zwar nicht allein …
Karim liebte die Frauen, aber er war absolut treu. Niemals hatte er eine seiner Freundinnen mit einer anderen Frau betrogen, sondern immer vorher die Beziehung beendet. Doch dieses Leben würde vermutlich bald ein Ende haben. Sein Vater erwartete, dass er bald heiratete – etwas, das Karim bisher zu verhindern gewusst hatte. Leila hatte sich bereits Hoffnungen gemacht und war bestürzt gewesen, als Karim ihr eröffnete, er habe niemals vorgehabt, sie zu seiner Frau zu machen. Nachdem sie ihn immer stärker bedrängt hatte, beschloss er, sich von ihr zu trennen. Zumal auch der Sex mit ihr immer langweiliger geworden war.
Am Anfang war das anders gewesen, musste Karim zugeben. Aber die Affäre hatte zu lange gedauert. Karim war ein guter Liebhaber, das wusste er, und er weckte in den Frauen eine grenzenlose Leidenschaft. Doch Leila war immer anspruchsvoller geworden, und nach manchen anstrengenden Tagen hatte Karim sich einfach eine Partnerin gewünscht, die abends für ihn da war.
Schluss, sagte er sich. Die Geschichte war beendet – sehr zum Bedauern seines Vaters. Er hatte Karim unmissverständlich klargemacht, dass er in Kürze eine Hochzeit erwartete. Das war der Grund, warum Karim in London war. Noch einmal wollte er sich amüsieren, ein unbeschwertes Wochenende verbringen, ehe er sich eine standesgemäße Braut suchen würde.
Seine Gedanken wanderten zu der jungen Frau, die er heute zum ersten Mal gesehen hatte. Als er den Konferenzraum betreten hatte, war sie ihm sofort aufgefallen. Trotz der Dunkelheit konnte er erahnen, wie schön sie war. Wie gern hätte er sie angesprochen, als er sie beim Essen wiedersah. Doch Noor hatte ihm erklärt, sie
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