Julia Extra Band 0319
auf Zaraq bieten würden. Eigentlich war sie nur aus Neugier zu diesem Vortrag gereist, keineswegs hatte sie ernsthaft vorgehabt, England zu verlassen. Als sie in der Zeitung gelesen hatte, dass auf Zaraq medizinisches Personal gesucht wurde, hatte sie aus einer Laune heraus in dem Hotel in London angerufen, dessen Telefonnummer in dem Artikel angegeben war. Sobald sie erzählte, dass sie Hebamme war, hatte man sie sofort zu der Veranstaltung eingeladen. Nicht einen Augenblick lang hatte sie wirklich erwogen, im Ausland zu arbeiten. Aber jetzt …
„Was denken Sie?“, fragte Liam, als sie beim Lunch zusammensaßen. „Das Gehalt ist wirklich großzügig.“
„Ich bin beeindruckt. Zu diesem Angebot kann man nur Ja sagen“, stimmte Felicity zu. „Hoffentlich dauert es nicht zu lange, bis sie sich für einige von uns entschieden haben. Ich riskiere sonst einen anderen Job.“
Sie verschwieg, dass ihre Familie das Geld dringend benötigte. Seit Jahren litt ihre Schwester Georgie unter einer schlimmen Essstörung, an der sie fast gestorben wäre. Schließlich hatte Felicity einen hohen Kredit aufgenommen und Georgie in einer teuren Privatklinik untergebracht, in der ihr endlich geholfen werden konnte. Doch Felicity schaffte es kaum, die Schulden zurückzuzahlen.
Das wollte sie Liam nicht auf die Nase binden – abgesehen davon, dass er längst schon wieder von sich erzählte.
„Meine Freundin und ich werden heiraten müssen, ehe wir nach Zaraq gehen“, sagte er, doch er sah nicht sehr glücklich aus bei diesem Gedanken.
„Das gilt nicht nur für Zaraq“, wandte Felicity ein. „Auch in der englischen Provinz wird es nicht gern gesehen, wenn Paare unverheiratet zusammenleben.“
„Das stimmt“, gab Liam achselzuckend zu und plapperte auch schon weiter.
Doch Felicity hing längst ihren eigenen Gedanken nach. Gerade als sie einen Bissen von ihrem köstlichen Sandwich nehmen wollte, entdeckte sie ihn – am anderen Ende des Raumes, in ein Gespräch vertieft mit Noor. Bei Tageslicht sah er noch viel besser aus, als das Dunkel hatte erahnen lassen. Seine Gesichtszüge waren scharf und edel, und als ihre Blicke sich durch die Menschenmenge trafen, verzog er die sinnlichen Lippen zu einem kurzen erkennenden Lächeln.
Sie versuchte, einfach weiterzuessen, als sei nichts geschehen. Doch ihre Hand und ihr Mund gehorchten ihr nicht. Wie von weit her hörte sie Liam reden. Sie zwang sich, einen Schluck Wasser zu nehmen.
Wer um alles in der Welt war er?
Den ganzen Nachmittag lang, während all der folgenden Vorträge, hoffte sie, ihn noch einmal zu sehen. Vergeblich. Und als die Veranstaltung am frühen Abend endete, musste sie sich damit abfinden, dass der geheimnisvolle Fremde genau das bleiben würde – ein Geheimnis.
Liam riss sie aus ihren Gedanken.
„Ich würde Sie gern wiedersehen“, sagte er gerade. „Aber nicht auf Zaraq.“ Er lächelte.
„Doch kein Job für Sie?“, gab Felicity zurück.
Er schüttelte den Kopf. „Trinken Sie noch einen Kaffee mit mir?“
Zu gern wäre sie noch ein bisschen geblieben in der Hoffnung, ihn noch einmal zu treffen. Doch ihr Zug fuhr in zwanzig Minuten, und wenn sie ihn verpasste, würde sie heute Abend nicht mehr nach Hause kommen. Deshalb lehnte sie Liams Angebot freundlich ab.
Als sie durch die Empfangshalle auf die gläserne Eingangstür zusteuerte, sah sie, dass es immer noch regnete. Sie durchsuchte gerade ihre Handtasche nach einem kleinen Schirm, als ihr Handy klingelte. Felicity zog das Telefon aus der Seitentasche, klappte es auf und erkannte die Rufnummer ihrer Mutter.
„Hi, Mum.“
„Wie war der Vortrag?“
„Großartig“, sagte Felicity voller Überzeugung. „Viel zu gut. Ich spiele mit dem Gedanken, tatsächlich nach Zaraq zu gehen.“
„Nun, heute Abend zumindest wirst du nirgends hingehen“, entgegnete ihre Mutter trocken und erklärte: „Es gibt ein Problem auf der Bahnstrecke. Die Züge verkehren nicht mehr. Es wird ein Bus eingesetzt, doch er fährt nur den halben Weg.“
Felicity stöhnte. „Dann wird es Stunden dauern, bis ich zu Hause bin.“ Sie dachte nach. Vor Mitternacht wäre sie nicht daheim, und sie sehnte sich schon jetzt nach ihrem Bett.
„Was willst du tun?“ Die Stimme ihrer Mutter klang besorgt.
„Mach dir keine Gedanken. Ich werde in London übernachten.“
„Aber du kennst niemanden dort.“
„Mum, ich bin sechsundzwanzig“, erinnerte Felicity sie sanft. „Ich werde eine Nacht in London schon
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