Julia Extra Band 0319
sie dazu zwingen wollen, zu ihm zu sehen.
Dann hob sie den Kopf und tat es tatsächlich. Ihre Blicke hielten einander fest. Eigentlich eine Unmöglichkeit, schließlich waren sie sich nie begegnet, und dennoch hatte das Erkennen Luc wie ein Speer durchfahren. Etwas lang verloren Geglaubtes war wieder an seinen Platz gerückt.
Hoffnung.
Ein wunderbares, ein berauschendes Gefühl. Und ebenso Furcht einflößend. Dennoch wollte er mehr. Er wollte endlich vergessen, was geschehen war, all die Fehler, die er in den letzten sechs Jahren begangen hatte. Mit dieser Frau wollte er sich verlieren, auch wenn es nicht von Dauer sein konnte.
Als sie wieder zu spielen begann, ließ Luc sich von der Musik davontragen. Dieser eine Blick hatte eine verzweifelte Sehnsucht in ihm erweckt, aber mit dieser Sehnsucht kehrte auch gleichzeitig die vertraute Hoffnungslosigkeit zurück.
Wie konnte er jemanden begehren und dessen Nähe suchen, wenn er absolut nichts mehr zu geben hatte?
In ihrer Garderobe ließ Abby sich vor dem Schminktisch auf den Stuhl sinken und stieß einen Seufzer aus. Der Auftritt war ihr heute endlos lang erschienen. In der Pause war sie unruhig hinter der Bühne auf und ab gelaufen, was ihrem Spiel in der zweiten Hälfte nicht gut getan hatte. Wäre ihr Vater und Manager hier, würde er ihr raten, ein Glas Wasser zu trinken und sich zu beruhigen. Doch ihr Vater war im Hotel zurückgeblieben, von einer schlimmen Erkältung ans Bett gefesselt. Denk an die Musik, Abby, allein an die Musik . Nie war ihr erlaubt gewesen, an etwas anderes zu denken. Bis heute Abend hatte sie auch nie an etwas anderes denken wollen.
Jetzt jedoch … Wer mochte dieser Mann sein? Sie wollte ihn treffen, mit ihm reden, ja ihn sogar berühren.
Sehnsucht und Furcht ließen sie erschauern. Nach dem Konzert gab es immer einige glühende Bewunderer, die ihre Glückwünsche persönlich hinter der Bühne überbringen wollten. Manche schickten Blumen und Einladungen. Die Geschenke nahm Abby dankend an, die Einladungen schlug sie aus. Das war die strikte Politik ihres Vaters – die Imagepflege der Abigail Summers als weltentrückte Ausnahmepianistin.
Im Spiegel streckte sie sich selbst die Zunge heraus. Wie sie diese Bezeichnungen hasste – Ausnahmepianistin, Wunderkind! Das klang nach einem trainierten Pudel. Ihr Vater jedoch nannte sie „einzigartig“ und „unerreichbar“.
Heute Abend wollte sie nicht unerreichbar sein. Sie wollte gefunden werden. Von ihm. Weil sie sich noch nie so lebendig gefühlt hatte. Der Blickkontakt mit diesem Mann hatte alles in ihr zum Vibrieren gebracht.
Würde er kommen?
Eine Theaterangestellte steckte den Kopf nach einem kurzen Klopfen zur Tür herein. „Mademoiselle Summers, recevez-vous des visiteurs ?“
„Ich …“ Ihre Gedanken wirbelten. Empfing sie Besucher? Die Antwort lautete natürlich immer Nein. Signiere das Programm für sie, Abby, mehr nicht. Du kannst nicht nur eine weitere Pianistin sein. Du musst anders sein . „Sind es viele?“, fragte sie schließlich in fließendem Französisch.
Die junge Frau zuckte mit einer Schulter. „Vielleicht ein Dutzend. Sie bitten um ein Autogramm.“
Enttäuschung machte sich in Abby breit. Der Mann würde nicht um ihr Autogramm bitten, er war keiner ihrer Fans. Er war … Ja, wer war er? Niemand von Bedeutung, versuchte ihr Verstand sie zu überzeugen, während ihr Herz sich verzweifelt wünschte, es wäre anders. Sie schluckte. „Na schön, schicken Sie die Leute herein.“
Monsieur Dupres, der Direktor, tauchte auf, einen missbilligenden Ausdruck auf dem strengen Gesicht. „Wie ich verstanden habe, empfängt Mademoiselle Summers keine Besucher.“
Ein Gleichgesinnter ihres Vaters. Ihr Vater besaß in jeder Konzerthalle seine Verbündeten. „Ich denke, ich kann selbst entscheiden, ob ich Besuch empfange oder nicht“, entgegnete sie kühl, auch wenn ihr Herz wild raste. Sie widersprach grundsätzlich nicht, machte keine Szenen, für das Theaterpersonal war ihr Vater zuständig. Geradewegs sah sie dem Direktor in die Augen. „Schicken Sie sie herein.“
Pikiert presste er die Lippen zusammen. „Wie Sie wünschen.“
Abby strich mit den Händen über ihr Haar und zupfte ihr Kleid zurecht. Im Spiegel ließ das Schwarz des Kleides ihre Wangen blass und ihre grauen Augen riesig aussehen.
Als es klopfte, drehte sie sich zur Tür und musste sich zusammennehmen, um ihr Lächeln aufrechtzuhalten.
Er war nicht unter den Konzertbesuchern, die vor
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