Julia Extra Band 0319
Meter fünfundsiebzig klein. An den Schläfen zogen sich silberne Strähnen durch das dunkle Haar, das lang genug war, um über den Hemdkragen zu streichen. Seinem Gesicht mit den wie gemeißelten Wangenknochen und dem markanten Kinn haftete eine strenge Schönheit an. Zusammen mit den durchdringenden blauen Augen strahlte es zwar Stärke aus, wirkte aber seltsamerweise gleichzeitig gequält. Ein Mann, der vom Leben geprägt worden war, vielleicht sogar von einer Tragödie.
„Warum haben Sie dann einen Martini bestellt?“
„Ich wollte einen weltgewandten Eindruck machen. Lächerlich, nicht wahr?“
Er neigte leicht den Kopf zur Seite, sein Lächeln wurde breiter und schuf zauberhafte Grübchen in seinen Wangen. „Wenn man bedenkt, wie weltgewandt Sie sind, ist es das, stimmt.“
Abby lachte verlegen. „Sie kennen sich mit Komplimenten aus, nicht wahr, Monsieur …“
„Luc.“
„Monsieur Luc?“
„Einfach nur Luc.“ Die Endgültigkeit in seinen Worten machte Abby klar, wie anonym diese Unterhaltung in Wirklichkeit war. Er würde sie nicht wissen lassen, wer sich hinter dem Vornamen verbarg. „Und Sie sind Abigail.“
„Abby.“
Sein Lächeln jedoch erweckte eine seltsam intime Wärme in ihr. Ihr gefiel diese Wärme, die langsam durch ihren Körper floss, auch wenn sie so ein Gefühl noch nie erfahren hatte. Wie goldener Honig, der ihre Glieder weich machte und sie mit einer angenehmen Mattigkeit erfüllte, obwohl ihr Herz noch immer wild schlug. Sie könnte wirklich glauben, in einem Märchen zu sein. Sie hatte ihn gefunden, und er sie.
„Abby, natürlich“, murmelte er.
Natürlich. Als würden sie sich bereits seit einer Ewigkeit kennen. Als hätten sie beide auf diesen Moment gewartet. Abby kam es tatsächlich so vor.
„Also.“ Er deutete fragend auf das Glas mit dem Martini. „Was glauben Sie?“
Abby verzog die Lippen. „Ich glaube, Champagner ist mir lieber.“
„Dann sollen Sie Champagner bekommen.“ Ein kurzer Wink zum Barmann und ein Schwall in schnellem Französisch, und wenig später standen eine Flasche horrend teuren Champagners und zwei blitzende Kristallflöten auf der Theke. „Trinken Sie ein Glas mit mir?“
Abby musste ein euphorisches Lachen unterdrücken. In all den Jahren, in denen sie Konzerte gab, war ihr so eine Begegnung nie gestattet worden. Immer arrangierte ihr Vater sorgfältig sämtliche Treffen und Autogrammstunden. Oft war sie sich dabei vorgekommen wie ein exotisches Tier im Zoo, begafft, bewundert und dann allein gelassen. Wie in einem Käfig, dachte sie plötzlich. Mein ganzes Leben lang schon bin ich eingesperrt.
Jetzt und hier fühlte sie sich frei.
„Ja, gern.“ Sie war erstaunt, wie leicht es ihr fiel, die Einladung anzunehmen.
Luc führte sie zu einer gemütlichen Nische in der leeren Bar. Der Kellner folgte, entkorkte die Flasche und goss die perlende Flüssigkeit in die Flöten. Luc hob sein Glas.
„Stoßen wir an auf unerwartete Überraschungen.“
Abby konnte nicht widerstehen. „Kommen nicht alle Überraschungen unerwartet?“
Das Lächeln strahlte aus seinen Augen. „Sicher“, stimmte er zu und trank einen Schluck.
Auch Abby nippte an ihrem Glas. Der Champagner prickelte auf ihrer Zunge und in ihrer Kehle. Sie starrte auf die aufsteigenden Bläschen in ihrem Glas und überlegte verzweifelt, was sie sagen könnte. Obwohl sie es gewohnt war, in allen großen Konzerthallen Europas aufzutreten, und sie sich auf Flughäfen ebenso wie in Luxushotels souverän und sicher bewegte, fühlte sie sich in der Gegenwart dieses Mannes unsicher, ja sogar linkisch.
Unter ihren langen Wimpern hervor warf sie einen neugierigen Blick auf ihn. Eine harte Entschlossenheit lag in seinen Zügen, sie stand in seltsamem Kontrast zu der leichten Konversation und seinem charmanten Lächeln. Wie eine düstere Schwermut, die Abby nicht verstand. Allerdings war sie auch nicht sicher, ob sie die verstehen wollte.
Er trank sein Glas leer und lächelte sie an, der Kummer zog sich zurück. „Ich hatte nicht damit gerechnet, Sie noch einmal zu sehen. Es muss eine Art Vorsehung sein, dass Sie ausgerechnet in diese Bar gekommen sind.“
Vorsehung. Schicksal. So wirkte es tatsächlich. „Normalerweise fahre ich nach meinen Konzerten mit einem Taxi zurück ins Hotel.“
„Aber heute Abend nicht. Warum?“ Sein blauer Blick traf auf ihre Augen.
„Weil …“ Wie sollte sie erklären, dass in diesem einen Moment, während dem sie ihn im Konzertsaal hatte
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