Julia Extra Band 0328
Würde er auf ein Wunder angewiesen sein? War es gar die verdiente Strafe für sein früheres Leben, für die Art, wie er mit Jessa umgesprungen war, wie er sich und seine Familie behandelt, wie er ein Vermögen verprasst hatte?
Doch langsam drehte sie den Kopf zu ihm und ihre zimtfarbenen Augen leuchteten, als sie ihn ansah. Ein Schmerz lag darin, den er nicht gleich verstand.
„Ich bin mir nicht sicher, ob du dich danach besser fühlen wirst“, sagte sie in bewegtem Ton. „Aber ich werde dir erzählen, was ich weiß.“
12. KAPITEL
Tariq sagte nichts. Er sah Jessa nur unergründlich an und nickte kaum merklich, doch bestimmt. Sie hatte eigentlich seine Forderung erwartet, ihm sogleich Bericht zu erstatten, doch er blieb für den Rest ihrer Fahrt zu seinem großen Haus schweigsam. Dort angekommen, geleitete er sie zu der Suite im obersten Stockwerk, die sie bereits kannte. Sollte das ihr Gefängnis werden? Jessa war zu irritiert, um sich weiter mit dieser Frage auseinanderzusetzen.
„Du wirst dich ein wenig herrichten wollen“, sagte Tariq in einem seltsam höflichen, geschliffenen Ton. Und doch, so spürte sie, brauchte er sie. Er deutete zu dem geräumigen Ankleidezimmer hin, das an das palastartige Badezimmer angrenzte. „Ich habe mir erlaubt, eine kleine Auswahl von Kleidern für dich anfertigen zu lassen in der Hoffnung, dass sie passen werden.“
Jessa schaute an sich hinunter. Alles an ihr war zerknittert, nass und dreckig. Sie schluckte und war nicht sicher, ob sie je wieder würde sprechen können. Sie kam auch nicht dazu, zu überlegen, wie sie seine Aufmerksamkeiten erwidern konnte. Sie konnte sich selbst nicht mehr leiden.
„Da sind einige Staatsgeschäfte, um die ich mich kümmern muss“, sagte er nach einer Weile, ebenso steif wie zuvor. Als ob er genauso verunsichert wäre wie sie. „Sie dulden keinen Aufschub.“
„Ich verstehe“, schaffte sie zu antworten, immer noch beschämt über ihren Zustand.
„Ich bin so schnell es irgend geht zurück.“ Ein leiser Seufzer begleitete seine Worte. Sie warf ihm einen hastigen Blick zu. „Wirst du auf mich warten?“, hakte er nach.
Lauf nicht weg, das war es, was er meinte. Offenbare endlich deine Geheimnisse. Bleib und gestehe nachher, was du versprochen hast zu tun.
Teile das mit mir, was niemals ein Geheimnis hätte sein dürfen. Was uns beiden gehörte. Uns beiden zusammen.
„Ich verspreche es.“ Es klang wie ein Schwur.
Angespannte lange Sekunden standen sie sich wortlos gegenüber. Jessa fühlte ihren Pulsschlag.
Steif und höflich nickte er ihr zu, als er sich vor ihr verbeugte. Dann verließ er den Raum.
Es war bereits Abend geworden, als eine äußerst taktvolle Hausangestellte in frisch gebügelter schwarzer Dienstkleidung Jessa durch das Labyrinth des riesigen Gebäudes zu Tariq führte. Er wartete in einem gemütlich wirkenden, reich ausgestatteten Raum auf sie, umgeben von Regalen voller Bücher und tiefen Ledersofas. Ein Feuer knisterte im offenen Kamin mit Marmorsims. Er stand in majestätischer Haltung mit dem Rücken zur Tür am Fenster und sah in die beginnende Dämmerung hinaus.
„Ich nehme an, dass alles zu deiner Zufriedenheit ist“, sagte er mit dunkler Stimme.
Jessa erschrak ein wenig. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ihr Kommen bemerkt worden war.
„So ist es“, sagte sie und befreite sich mit einem Husten von der Beklemmung in ihrem Hals.
Dann wandte er sich um. Jessa fühlte sich plötzlich verloren, als sie seinen trostlosen Blick bemerkte. Seine ohnehin scharfen Gesichtszüge waren noch distanzierter und unnahbarer. Sie hatte das Bedürfnis, zu ihm zu gehen und seinen Kummer ein wenig zu lindern. Doch dann fragte sie sich, mit wem sie diesen Mann da am Fenster wohl verwechselte. Dieser Mann war immer noch Tariq bin Khaled Al-Nur. Gerade jetzt konnte er gefährlicher werden als je zuvor. Sie musste das im Hinterkopf behalten. Nur – es war nicht so, dass sie unmittelbar etwas von ihm zu befürchten hatte. Es war ihr eigenes Herz, das ihr diese Sorgen bereitete.
„Rede!“, sagte er scharf.
Damit war klar, was er wollte.
Sie holte tief Luft. Um Zeit zu gewinnen, durchquerte sie den Raum und setzte sich auf die Kante einer weichen Ledercouch. Tariq vermochte sie nicht anzusehen, deshalb blickte sie ins flackernde Feuer. Es fühlte sich sicherer an.
Diese Unterhaltung musste zu Ende geführt werden. Wenigstens das gestand sie sich ehrlicherweise zu.
„Es ist ein Junge“, begann sie.
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