Julia Extra Band 0328
Alles in ihrem Kopf begann sich zu drehen. Es erschien so unwirklich, ihm das nach so langer Zeit schließlich doch zu offenbaren. Auch die Umgebung war wie ein Traum – die vornehmen Kleider, das Feuer, und der Furcht einflößende Mann, der so nah vor ihr stand und doch Welten von ihr entfernt war. „Ich habe ihn Jeremy genannt.“
Jessa spürte Tariqs Blick auf sich ruhen. Sie hätte gern gewusst, wie er die Nachricht aufnahm, dass er – rein biologisch gesehen – plötzlich Vater war. Sie legte die Hände in den Schoß, sah weiter ins Feuer und fuhr fort.
„Ich habe herausgefunden, dass ich schwanger bin, als ich damals den Arzt aufsuchte.“ Sie seufzte. Erinnerungen und Bilder stiegen in ihr empor. „Du hattest niemals über eine gemeinsame Zukunft gesprochen. Nicht einmal eine Andeutung gemacht …“ Jessa wollte ihm nicht völlig die Schuld zuschreiben. „Ich war mir nicht klar, ob ich dich verlieren würde oder ob du dich freuen würdest. Ich wusste nicht einmal, ob ich selbst glücklich war.“ Sie schüttelte den Kopf, während der Schein des Feuers über ihr Gesicht tanzte. „Ich bin zu einer Freundin in Brighton geflüchtet und habe überlegt, was ich tun soll.“
„Damals hast du mir sehr gefehlt“, sagte Tariq ruhig. „Du hattest mir demnach also nicht ganz den Rücken gekehrt.“
„Es ist Ironie des Schicksals, dass du dir das eingebildet hast“, brachte Jessa mit hohlem Lachen hervor. „Denn das war zuerst meine allergrößte Angst – dass du abreisen würdest.“ Noch einmal dieses gekünstelte Lachen. „Als ich dann nach London zurückkam, warst du bereits fort. Und als mir klar wurde, wer du in Wirklichkeit bist, wurde mir sehr schnell bewusst, dass ich ab sofort allein sein würde.“
Jessa nahm einen tiefen Atemzug und hatte das Gefühl, als würden ihre Lungen reißen. Es würde nicht einfacher werden, wenn sie dieses Gespräch aufschoben. Vermutlich würde es nie einfacher werde. Sie atmete bewusst aus und fuhr fort.
„Es war eine Katastrophe“, sagte sie. „Innerhalb kürzester Zeit habe ich meinen Job verloren. Ich wollte an eine andere Arbeit in der City kommen, doch ich wurde abgelehnt. Meine Schwester drängte mich, zu ihr nach York zurückzukommen. Aber ich wollte nicht klein beigeben. Also tat ich so, als sei nichts geschehen. Als ob du nicht geschehen seist.“
Ein entferntes Geräusch ließ sie aufhorchen. Hatte er nur heftig ausgeatmet oder war es ein leiser Fluch? Sie sah nicht zu ihm hin, denn sie wollte nicht wahrnehmen, was er von ihrem Verhalten hielt. Wenn sie ihm die ganze Geschichte nicht jetzt erzählen würde, würde sie es niemals tun. Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, wie er aufstand und unruhig herumstreifte, als ob er es nicht ertragen könnte stillzustehen.
„Ich war schwanger, und …“ Wie sollte sie ihm beibringen, in welchen Gefühlszuständen sie sich befunden hatte? Einerseits in völligem Aufruhr, und andererseits hatte sie gleichzeitig Schrecken und Freude verspürt. Ihre Hand legte sich über den Bauch, als ob sie den Zustand wieder herbeirufen wollte. Als ob Jeremy noch immer in ihr strampelte, so fordernd und eindringlich.
„Du musst ziemlich aufgelöst gewesen sein“, meinte Tariq ruhig. Zu ruhig. Jessa heftete ihren Blick wieder auf den Schoß und faltete die Hände ineinander.
„Ja. Aufgelöst wegen dir. Oder wegen der ganzen Lage, in der ich mich befand. Aber sicher nicht wegen des Babys. Mir war sehr schnell klar geworden, dass ich das Baby bekommen wollte.“ Sie nahm einen tiefen Atemzug. „Und deshalb habe ich den Jungen zur Welt gebracht. Ein perfektes Kind.“
Jessa presste die Lippen zusammen, um nicht aufzuschluchzen. Sie atmete durch die Nase, bis sie sicher sein konnte, nicht in Tränen auszubrechen. Soweit die Fakten. Er musste die Fakten kennen.
„Es war eine schwere Geburt“, fuhr sie fort. „Es gab auch … kleinere Komplikationen. Ich fiel in eine Depression. Ich hatte Angst.“
Jessa hätte gerne gewusst, woran er gerade dachte. Erschien ihm das Ganze unwirklich? Unmöglich?
„Ich hatte keinen Job und keine Vorstellung davon, wie es weitergehen sollte“, fuhr sie fort, ohne auf ihre belegte Stimme oder den schmerzhaften Krampf in ihrem Bauch zu achten. „Nun hatte ich einen vollkommenen, gesunden Jungen, einen Königssohn, und konnte ihm kein angemessenes Leben bieten. Kein Leben, das ihm zugestanden hätte. Das er verdient hätte.“ Ihre Stimme brach, sie seufzte und räusperte sich
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