Julia Extra Band 0330
abzunehmen, lehnte sie etwas zu heftig ab, und er konnte sich keinen Reim auf ihr seltsames Verhalten machen. Die meisten Frauen wären bei der Aussicht, in dieser Luxusvilla leben zu dürfen, vollkommen aus dem Häuschen.
Überhaupt sah Libby absolut deplatziert aus: lila Stiefel, bunter Rock, dazu giftgrüne Strumpfhosen und dieser unbeschreibliche orangefarbene Regenmantel. Doch nichts konnte von ihrem bezaubernden Gesicht ablenken. Nicht zum ersten Mal fixierte Raul ihre weichen Lippen und verspürte dabei eine Sehnsucht, die ihn stark beunruhigte.
Dio , sie war eine regelrechte Hexe! „Komm mit! Ich zeige dir deine Zimmer“, sagte er barsch.
Stumm folgte sie ihm und fühlte sich im geräumigen Inneren der Villa noch kleiner und unsicherer als zuvor. Dabei hätte sie sich gern die prachtvollen Leuchter, die riesigen Gemälde und antiken Möbel genauer angesehen. Aber Raul eilte schnellen Schrittes voraus, und Libby hatte den Eindruck, sich für immer in diesen endlosen Gängen zu verlaufen, sollte sie ihn jetzt aus den Augen verlieren.
Im Obergeschoss stieß er die Tür zu einer hellen, überraschend modern eingerichteten Suite auf: Wohnzimmer, kleiner Essbereich und ein angrenzendes Schlafzimmer mit Bad.
Und es gab noch eine Tür, hinter der sich ein hellgelb gestrichenes Kinderzimmer verbarg. „Hier soll Ginos Reich entstehen“, erklärte er, und Libby bewunderte die blauen Vorhänge und den dazu passenden Läufer. Alles wirkte neu und frisch.
Sie setzte ihren kleinen Bruder auf dem Boden ab, und er krabbelte sofort auf eine bunte Spielzeugkiste zu.
„Das Kindermädchen schläft übrigens auch angrenzend zu diesem Zimmer“, informierte Raul sie tonlos.
„Welches Kindermädchen?“, wunderte Libby sich laut.
„Das ich für dich und Gino als Hilfe eingestellt habe. Sie kommt von einer der besten Agenturen Italiens und hat hervorragende Referenzen.“
„Und selbst wenn sie Mutter Theresa persönlich wäre!“, brauste Libby auf, gepackt von nackter Angst. Sie wollte nicht, dass irgendjemand ihren Platz in Ginos Leben einnahm. „Du kannst sie gleich wieder entlassen. Ich komme sehr gut allein mit dem Kleinen zurecht.“
„Den Eindruck habe ich nicht, nach allem, was ich in Pennmar beobachten musste“, widersprach Raul scharf. „Zudem du dort mit ihm in einem heruntergekommenen Loch gewohnt hast.“
Dieser Vorwurf brachte sie fast zur Explosion. „Ich habe die Wohnung absolut sauber gehalten und ständig gegen den Schimmelbefall angeschrubbt! Es ist nicht meine Schuld, dass die Wände dort so feucht waren.“
„Das Wohnzimmer hat wie ein Schweinestall ausgesehen!“
„Nur, weil ich meine Sachen dort schnell unterbringen musste, nachdem mein Schlafzimmer unter Wasser stand …“ Ein lautes Klopfen an der Tür unterbrach sie, und kurz darauf betrat eine dunkelhaarige Frau das Zimmer.
„Ah, Silvana“, sagte Raul. „Dann kann ich dir ja gleich deinen neuen Schützling vorstellen.“ Mit einer schwungvollen Bewegung nahm er Gino auf den Arm, und zu Libbys Bestürzung quiekte ihr Bruder vergnügt und erforschte Rauls Gesicht mit seinen weichen kleinen Händen. „Das ist Gino.“ Es folgte eine kurze Pause. „Und das ist seine Mutter, Miss Maynard.“
Silvana schenkte Libby ein strahlendes Lächeln und lenkte ihre Aufmerksamkeit gleich darauf wieder auf das Kind. „Was für ein niedlicher kleiner Junge“, bemerkte sie in akzentfreiem Englisch und fügte auf Italienisch hinzu: „Sei un bel bambino, Gino.“
„Er versteht kein Italienisch“, sagte Libby gepresst und wünschte sich insgeheim, Gino würde beim Anblick des Kindermädchens eine seiner berühmten Heulattacken bekommen. Doch der Kleine schien sich auf Rauls Arm ausgesprochen wohl und sicher zu fühlen und bedachte Silvana mit seinem einzigartigen Grinsen – das bisher nur Libby vorbehalten gewesen war.
„Silvana spricht beide Sprachen fließend und wird Gino bilingual erziehen“, informierte Raul Libby mit kühler Stimme. „Schließlich ist Italien seine neue Heimat, und da sollte er wohl seine Muttersprache beherrschen. Findest du nicht?“
„Ich denke schon“, murmelte Libby zustimmend und fühlte sich schrecklich, weil sie nicht selbst gleich daran gedacht hatte. „Ich werde es ebenfalls lernen. Mit Spanisch hatte ich keine Probleme, daher sollte es mir nicht schwerfallen“, fügte sie selbstbewusst hinzu.
„Hast du in der Schule Spanisch gelernt?“, fragte Raul interessiert.
„Nein …“ Sie mochte
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