Julia Extra Band 0330
Aber sie war auch eine Klatschbase, die jedes neue Gerücht in Windeseile durch das gesamte Dorf trug. Aber niemand hier in Pennmar durfte wissen, dass Libby nicht Ginos Mutter, sondern lediglich seine Schwester war!
Sie dachte an die ersten schrecklichen Tage nach dem Tod ihrer Mutter zurück. Als Liz zusammengebrochen war und anschließend nicht wieder das Bewusstsein erlangte, hatten sie gemeinsam in London gelebt und gerade den Umzug nach Cornwall vorbereitet.
Damals war Gino erst drei Monate alt gewesen, und Libby stand einerseits wegen ihrer Trauer regelrecht unter Schock, musste sich aber andererseits um ihren kleinen Bruder kümmern. Ihre Freundin Alice, eine angehende Juristin, war ihr eine unschätzbare Hilfe gewesen. Aber sie hatte Libby auch vor den Problemen gewarnt, die Liz’ Tod mit sich brachte.
„Wenn deine Mutter kein Testament hinterlassen hat, in dem du ausdrücklich als Ginos Vormund eingetragen bist, fällt das Sorgerecht für ihn automatisch an den Staat und damit an das zuständige Jugendamt“, erklärte Alice. „Und nur weil du seine Halbschwester bist, werden sie nicht automatisch dich als Pflegemutter auswählen, selbst wenn du darum kämpfst.“
Liz war an einer Thrombose gestorben, und Libby hatte sich nicht einmal von ihr verabschieden können. Darum existierte auch keine Verfügung, wer sich im Todesfall um den Kleinen kümmern sollte. So entschied Libby in ihrer Not, das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen.
Eine Woche nach der Beerdigung zog sie in das kleine Pennmar und übernahm dort den Laden, den Liz und sie kurz zuvor mit dem Erbe der Großmutter eingerichtet hatten. Jeder im Dorf hielt Gino für Libbys Sohn, und wegen Alices Warnung stellte Libby dieses Missverständnis niemals klar. Deshalb brachte sie es auch nicht über sich, vor Margaret die Wahrheit zuzugeben.
Ich erkläre einfach später, wie die Dinge liegen, nahm sie sich vor und straffte die Schultern. Rauls Blick, der unablässig auf ihr ruhte, war eiskalt.
„Ja, ich bin Ginos Mutter“, entgegnete sie ruhig, doch die Lüge verursachte einen säuerlichen Geschmack auf ihrer Zunge. Oder war es die Abscheu, die sich in seinen Augen spiegelte? Mit Scham dachte sie daran, dass ihr Top von der Wohlfahrt stammte und der Rock aus einem alten Vorhang genäht war.
„Du bist viel jünger, als ich erwartet habe“, gab er unumwunden zu. „Da fragt man sich doch, was du an meinem steinreichen, fünfundsechzigjährigen Vater eigentlich so anziehend gefunden hast, oder?“
Sein Sarkasmus traf ins Schwarze, und Libbys Gesicht lief dunkelrot an. Aber sie konnte sich in Gegenwart von Margaret, die noch immer vorgab, etwas in ihrer Handtasche zu suchen, unmöglich verteidigen.
„Entschuldigung“, entgegnete sie darum kühl, „aber ich denke nicht, dass dich meine Beziehung zu deinem Vater etwas angeht.“ Arroganter Mistkerl! setzte sie im Stillen hinzu.
Weil sie spürte, dass Margaret vor Neugier zu platzen drohte, wandte sie sich ihr lächelnd zu. „Vielen Dank, dass du mit Gino spazieren warst. Der Kinderarzt hat mir noch einmal versichert, wie gut die Seeluft für seine Lunge ist.“
„Jederzeit wieder gern“, sagte die ältere Dame eifrig und warf dem unbekannten Besucher einen kritischen Seitenblick zu. „Ich könnte mich auch jetzt um ihn kümmern, falls du mit diesem Herrn etwas Wichtiges zu besprechen hast?“
Damit die Geschichte im Dorf die Runde macht und man mir Gino wegnimmt? dachte Libby. „Danke, aber ich muss ihn jetzt ohnehin erst füttern. Außerdem will ich nicht noch mehr deiner Zeit in Anspruch nehmen. Drehst du bitte das Öffnungsschild um, wenn du gehst?“
Obwohl Libby diesen Rauswurf so elegant wie möglich formulierte, sah Margaret etwas betroffen aus. Sie trat hinaus auf den Bürgersteig und schloss fest die Tür hinter sich.
„Bevor du noch irgendetwas sagst, möchte ich erklären, warum …“ Libby wurde von Ginos lautem Geheule unterbrochen.
Trotz seiner zehn Monate konnte der Kleine schon recht kräftig zappeln, und Libby musste sich anstrengen, um ihn sicher auf dem Arm zu halten. Ein heftiger Hustenanfall schüttelte den zierlichen Körper, und Libbys Aufmerksamkeit galt einzig und allein dem geplagten Kind.
„Entschuldige mich, er muss etwas trinken“, murmelte sie und verschwand ohne ein weiteres Wort mit Gino hinter dem Vorhang.
Nur leider hustete ihr kleiner Bruder so stark, dass sie ihm unmöglich etwas zu trinken geben konnte. Außerdem trug er noch seinen
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