Julia Extra Band 0345
Zeiten, in denen er sich nach den Wünschen anderer Menschen, insbesondere denen seines Vaters, gerichtet hatte, waren vorbei. Diese unreflektierte Fügsamkeit hatte zu einer gescheiterten Ehe geführt. Damals war er einfach zu jung, zu dumm und zu arrogant gewesen und hatte sich eingebildet, unfehlbar zu sein.
Theoretisch war die Idee seines Vaters gar nicht so falsch gewesen, denn Rosanna und er, Emilio, wirkten wie ein ideales Paar, das viele Gemeinsamkeiten hatte. Sie waren beide mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden und konnten ihren Stammbaum über viele Jahrhunderte zurückverfolgen.
Emilio setzte sich ans Steuer und lächelte verbittert, als er an den Wutausbruch seines Vaters dachte, nachdem er ihn über die bevorstehende Scheidung von Rosanna informiert hatte.
Luis Rios hatte getobt, doch schließlich irgendwann eingesehen, dass er seinen Sohn nicht mehr durch Drohungen einschüchtern konnte. Und als Emilio dann auch noch angemerkt hatte, die Ehe hätte ohne Liebe wohl keine Chance gehabt, war sein Zorn tiefer Verachtung gewichen.
„Liebe?“ Sein Vater hatte nur höhnisch geschnaubt. „Seit wann bist du unter die Romantiker gegangen?“
Eine durchaus berechtigte Frage, denn Emilio musste zugeben, dass er mit der sogenannten wahren Liebe bisher wenig anfangen konnte.
Diese Meinung hatte er erst geändert, als er am eigenen Leib erfahren hatte, was es hieß, der Frau zu begegnen, ohne die man glaubte, nicht mehr leben zu können. Dieser eine Moment hatte sich unauslöschlich in Emilios Gedächtnis gebrannt. Jedes noch so kleine Detail ihres verspäteten Eintreffens zum bis dahin hoffnungslos langweiligen Abendessen war haften geblieben – ihre Atemlosigkeit, der Duft der warmen Sommernacht, der mit ihr in den stickigen Raum geschwebt war.
Emilios Herzschlag hatte tatsächlich für einen Moment ausgesetzt, was völlig verrückt war, wenn er sich vor Augen führte, wie oft er sich schon im selben Zimmer mit ihr aufgehalten hatte. Doch in diesem magischen Moment hatte er den Eindruck gehabt, sie zum allerersten Mal zu sehen.
Energisch verdrängte er ihr hinreißendes Bild und konzentrierte sich auf den Straßenverkehr. Selbstmitleid half ihm auch nicht weiter. Inzwischen hatte er aufgegeben, den leeren Platz in seinem Herzen zu füllen, und sich mit der Situation abgefunden.
Du hast sie nicht verloren, redete er sich jetzt ein. Schließlich warst du nie mit ihr zusammen. Und das war alles seinem äußerst schlechten Timing zu verdanken.
Das Getriebe knirschte, als er zu ruckartig schaltete. Die verächtlichen Worte seines Vaters fielen ihm ein: „Wenn du Liebe willst, nimm dir eine Geliebte. Meinetwegen auch mehrere.“ Luis Rios schien erstaunt zu sein, dass sein Sohn nicht von selbst darauf gekommen war.
Emilio hatte noch nie Zuneigung für seinen herrischen Vater empfunden, doch jetzt verachtete er ihn regelrecht.
Die Vorstellung, er selbst könnte sich jemals dazu hinreißen lassen, eine Frau so zu erniedrigen, wie sein Vater es mit seiner Mutter getan hatte, erfüllte Emilio mit tiefster Abneigung. Schön, er hatte sich auf eine Vernunftehe eingelassen, aber es war stets seine Absicht gewesen, seiner Frau treu zu sein.
„Soll ich deinem Beispiel folgen, Papa?“, hatte er voller Abscheu gefragt.
Der ältere Mann konnte seinem Blick nicht standhalten und wandte sich ab. Doch etwas Grundlegendes hatte sich in dem Verhältnis zwischen Vater und Sohn verändert, als sie einander mit Blicken gemessen hatten.
Luis Rios hatte seine häufige Drohung, Emilio zu enterben, niemals in die Tat umgesetzt. Es hätte Emilio sowieso nicht interessiert. Die Herausforderung reizte ihn, sich ein Leben außerhalb des Familienimperiums und des seit Generationen damit vermehrten Vermögens aufzubauen.
Kurz nach dieser heftigen Auseinandersetzung hatte sein Vater sich jedoch sowieso aus dem aktiven Geschäft zurückgezogen und konzentrierte sich seitdem ausschließlich auf die Zucht von Rennpferden. Emilio konnte also schalten und walten, wie es ihm gefiel, und hatte bereits weitreichende Änderungen im Unternehmen durchgeführt. Dabei war er so geschickt vorgegangen, dass die Marke Rios von der Finanzkrise überhaupt nicht betroffen war. Die Konkurrenz beäugte den Erfolg neidvoll und missgönnte Emilio das Glück.
Das auch jetzt wieder auf seiner Seite war, denn am Flughafen erwischte er die einzige Parklücke weit und breit, und das sogar zehn Minuten, bevor der Flieger mit seiner Exfrau
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