Julia Extra Band 0345
nur eingebildet? Hektisch ließ sie den Blick von links nach rechts über die Menschenmenge gleiten. Emilio Rios fiel durch seine imposante Erscheinung doch sofort auf. Wieso konnte er plötzlich wieder verschwinden?
„Was ist los, Megan? Ist dir etwas passiert?“
„Nein, alles in Ordnung, Dad“, schwindelte sie, obwohl diese heftige Reaktion auf jemanden, der sie vermutlich schon längst vergessen hatte, sicher nicht in Ordnung war.
„Du klingst aber so merkwürdig.“
So was Peinliches! Innerhalb weniger Sekunden hatte sie sich wieder in das naive, unsichere Dummchen verwandelt, das sie mit einundzwanzig Jahren gewesen war, als sie ihn zuletzt gesehen hatte. Am liebsten wäre sie davongelaufen, so wie sie es damals getan hatte.
Das war ja völlig verrückt!
Sie hatte den Mann seit fast zwei Jahren nicht mehr gesehen, und er hatte vermutlich völlig vergessen, unter welch unangenehmen Umständen sie einander zuletzt begegnet waren.
Jedenfalls war sie froh, dass sie sich offensichtlich seine Anwesenheit hier nur eingebildet hatte.
Geschickt wich Megan einem Gepäckwagen aus, der direkt auf sie zugeschoben wurde. Dann konzentrierte sie sich wieder auf das Telefongespräch. „Keine Sorge, Dad. Ich dachte nur, ich hätte einen Bekannten gesehen. Hör zu, ich muss jetzt Schluss machen. Ich melde mich später bei dir, wenn ich ein Hotelzimmer gefunden habe.“
„Wen meinst du, gesehen zu haben?“
Megan atmete tief durch. „Emilio Rios.“
„Emilio?“
„Ja, es war wohl nur jemand, der ihm ähnlich sieht.“ Immerhin befand sie sich in Madrid. Hier gab es viele dunkelhaarige, blendend aussehende Männer, einige maßen sogar über einen Meter neunzig. Warum sollte es sich also tatsächlich um Emilio gehandelt haben? Nein, sie musste sich geirrt haben.
Diese Erklärung beruhigte sie etwas.
„Er könnte es aber tatsächlich gewesen sein“, meinte ihr Vater nachdenklich. „Soweit ich weiß, gibt es in Madrid eine Firmenniederlassung.“
Aber wo besaß das Rios-Imperium keine Zweigstelle? In Finanzkreisen schieden sich die Geister an Emilio. Die einen hielten ihn für ein Genie, die anderen fanden, er hätte nur Glück gehabt.
Megan war zu dem Schluss gekommen, dass beides zutraf – gepaart mit einer gehörigen Portion Skrupellosigkeit.
Megans Anspannung wuchs wieder, als ihr Vater nachdenklich hinzufügte: „Der Familiensitz der Rios’ liegt in der Nähe. Ein wunderschönes altes Anwesen.“ Und das aus dem Mund Charles Armstrongs? Er war selbst stolzer Besitzer eines Landsitzes von gigantischen Ausmaßen. Das Anwesen der Familie Rios musste also wirklich spektakulär sein.
„Na gut, dann war er es eben tatsächlich. Das ist jetzt auch egal, denn er ist wieder verschwunden.“
„Ich war dort mal eingeladen, als Luis und ich über ein Projekt verhandelt haben. Man konnte den Mann einfach nicht festnageln. Hast du Emilios Vater mal kennengelernt?“
„Ja, er ist ziemlich versnobt.“
„Nein, als Snob würde ich ihn nicht bezeichnen.“ Ihr Vater widersprach. „Eher als Mann der alten Schule, der unglaublich stolz ist auf seine Ahnentafel. Die ist tatsächlich sehr beeindruckend. Luis kann seine Herkunft mehrere Jahrhunderte zurückverfolgen. Vielleicht ist dein Zwangsaufenthalt in Madrid gar keine so schlechte Sache.“
Der abwägende Tonfall weckte sofort Megans Misstrauen. „Meinst du?“
„Ich werde Emilio anrufen.“
Eine ohrenbetäubende Lautsprecherdurchsage übertönte Megans Protestruf: „Nein, Dad, auf gar keinen Fall!“
„Seit Luis sich aus der Unternehmensführung zurückgezogen hat, habe ich nichts mehr von ihm gehört. Es wäre eine gute Gelegenheit, wieder Kontakt aufzunehmen. Ich bin sicher, Emilio kann dir eine Unterkunft besorgen.“
„Ich möchte das nicht, Dad.“
Charles Armstrong überhörte ihren Einwand. „Die Familie verfügt über gute Beziehungen nach Südamerika. Die könnten uns bei den Verhandlungen mit Ortega nützlich sein. Selbst wenn nicht …“
Megan schüttelte energisch den Kopf und schnitt ihrem Vater das Wort ab. „Nein!“
„Was soll das heißen?“
„Das soll heißen, dass ich Emilio Rios keinen Honig um den Bart schmieren werde, damit du irgendeinen Nutzen daraus ziehen kannst.“
„Habe ich dich etwa darum gebeten?“ Ihr Vater tat so, als hätte sie ihn mit dieser Unterstellung zutiefst verletzt.
„Emilio Rios ist mit Philip befreundet, nicht mit mir. Der Mann ist mir sowieso unsympathisch“, behauptete sie. Vor zwei
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