Julia Extra Band 0349
Wunder eben!
Möglicherweise hätte er alles ohne einen einzigen Kratzer überstanden, wenn nicht Schlamm auf der Straße gewesen wäre. Der brachte das Auto ins Schleudern. Es drehte sich ein Mal im Kreis, sauste quer über die Straße und landete im tiefen Straßengraben.
Das Ganze passierte mit solcher Wucht, dass Rafael trotz des Sicherheitsgurts mit der Stirn gegen die Windschutzscheibe prallte und erst einmal nur noch Sterne sah.
Dann hörte er Stimmen. Nein, eine Stimme. Eine Frauenstimme. Eine sehr angenehme Stimme.
Die flehte ihn an, bitte, bitte nicht tot zu sein.
War er vielleicht gestorben?
Nein, dann würde mir der Kopf nicht so wehtun, dachte Rafael benommen.
Außerdem hatten Engel keine sexy klingenden, dunklen Stimmen, oder?
Wichtiger als die Antwort auf diese Frage war allerdings, festzustellen, ob und wie schwer er verletzt war.
Vorsichtig bewegte er Arme und Beine. Die schienen unversehrt und gehorchten seinen Befehlen, was gut war. Sein Schädel fühlte sich allerdings an, als würde dort eine Horde Trommler sitzen und aus Leibeskräften ihre Instrumente bearbeiten.
Das fand Rafael weniger gut.
Ganz behutsam hob er den Kopf und hörte neben sich ein geflüstertes, sehr leidenschaftlich klingendes: „Dem Himmel sei Dank!“
Rafael blinzelte, was die Schmerzen verschlimmerte. Er presste die Hände gegen die Stirn und wandte sich wie in Zeitlupe seitwärts, in Richtung der Stimme.
Zuerst nahm er verschwommen ein weißes Oval war. Wieder blinzelte er zaghaft, und endlich wurde sein Blick scharf. Nun sah er herrlich schimmernde Haare, rot wie Buchenlaub im Herbst, darunter das blasse Gesicht einer Frau.
Das der Selbstmörderin, die sich eben vor seinen Wagen hatte werfen wollen!
Sie war bei näherer Betrachtung jung und attraktiv, nein, makellos schön sogar.
Aber leider rothaarig!
Seine Abneigung gegen Rothaarige hatte sich allmählich entwickelt. Nach dem bislang letzten Zwischenfall mit einem Rotschopf – Wein, den sie ihm ins Gesicht geschüttet hatte, weil er ihr angeblich nicht aufmerksam genug zuhörte – hatte er beschlossen, die Finger von solchen Frauen zu lassen. Egal, wie dekorativ sie waren, sie kosteten einfach zu viel.
Zu viel Geld. Zu viel Zeit. Und vor allem zu viele Nerven.
Diese Frau hier hatte unglaublich blaue Augen, wie er jetzt merkte. Konnte die Farbe echt sein? Oder waren es gefärbte Kontaktlinsen?
Während Rafael noch darüber nachdachte, durchflutete ihn völlig überraschend eine Welle, nein, eine wahre Sturzflut überwältigenden Verlangens.
Nun war ihm endgültig klar, dass er lebte – und dass sein Entschluss, mit Rothaarigen nichts mehr zu tun haben zu wollen, nicht bis zu jedem Teil seines Körpers durchgedrungen war.
Plötzlich verschwamm ihm erneut alles vor den Augen, und er machte sie lieber zu. Nun wurde ihm zusätzlich noch übel. Wahrscheinlich eine leichte Gehirnerschütterung. Womöglich war auch das Begehren darauf zurückzuführen, dass sein Kopf nicht richtig funktionierte, aber das alles würde bestimmt bald vorbeigehen.
Nach einer kleinen Weile öffnete Rafael die Augen wieder, gerade als die junge Frau sich zu ihm beugte. Ihre lockigen Haare umrahmten schimmernd ihr herzförmiges lebhaftes Gesicht mit dem typischen hellen Teint der … Rothaarigen!
Erleichtert stellte Rafael fest, dass ihm nicht mehr übel war. Allerdings verspürte er jetzt die beinah nicht zu bändigende Lust, die rosigen, schön geschwungenen, absolut verlockenden Lippen der Unbekannten zu küssen.
Obwohl sein Denkvermögen nur eingeschränkt funktionierte, gelang es Rafael, dem Impuls nicht sofort nachzugeben, sondern kurz zu überlegen.
Ein Vorteil ist, dass mich dieses Verlangen vom Kopfweh ablenkt, dachte er dankbar.
Dass allein der Blick auf eine attraktive Frau ein so ungezügeltes Gefühl auslöste, war ihm allerdings schon lange nicht mehr passiert.
Vielleicht sollte er es einfach genießen? Auch wenn er sonst gern die Kontrolle hatte, natürlich erst recht über seine eigenen Empfindungen.
„Alles in Ordnung?“, fragte die Frau.
Blöde Frage! Wie konnte nach so einem Unfall alles in Ordnung sein? Die Fremde war also rothaarig, dumm … und selbstmörderisch. So, wie sie eben auf die Straße gesprungen war, direkt vor sein Auto.
Aber ihr Mund war zum Küssen schön.
2. KAPITEL
„Tut Ihnen irgendetwas weh?“, erkundigte Libby sich und musterte den Fahrer des Wagens. „Sie sehen unverletzt aus. Also keine Sorge, es wird alles wieder
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