Julia Extra Band 0349
sehe aus wie ein billiges Flittchen?“, fragte Libby gespielt drohend.
„Du siehst ungefähr so billig aus wie echter französischer Jahrgangschampagner“, erwiderte die Freundin besänftigend. „Wahrscheinlich schreckst du deshalb die meisten Männer ab. Du hast einfach zu viel Klasse und Stil.“
„Danke für die nette Theorie. Aber nun zu etwas anderem: Was sollte ich im Dorf für dich besorgen, Chloe?“
Libby hatte es zwar eilig, nach Hause zu kommen, aber fünf Minuten mehr oder weniger spielten jetzt auch keine Rolle mehr.
„Nein, vergiss es, es ist nicht so wichtig“, wehrte Chloe ab.
Aber Libby ließ nicht locker, und nach kurzem Hin und Her erfuhr sie, dass Chloes Hund Eustace sich mal wieder verletzt hatte und vom Tierarzt abgeholt werden musste.
„Jemand hat das Tor offen gelassen, da ist Eustace natürlich entwischt. Zum Glück hat Mike ihn bald gefunden, aber nicht, bevor der Gute sich in einem Stück Stacheldraht verfangen hatte.“
„Oh weh, der arme Eustace“, rief Libby mitleidig. „Natürlich hole ich ihn ab, die Praxis liegt doch auf dem Weg. Es macht gar keine Mühe“, fügte sie noch hinzu, obwohl das gelogen war. „Bis später!“
Die Weiterfahrt wurde durch einen heftigen Wolkenbruch zum Albtraum, und als das Dorf endlich vor ihr auftauchte, war Libby erleichtert. Zum Glück hatte der Regen inzwischen aufgehört, aber auf der schmalen Landstraße, wo sie den Wagen nahe der Tierarztpraxis parkte, standen riesige Pfützen.
Als sie den Hund abgeholt und zu ihrem Auto gebracht hatte, waren ihre Schuhe völlig durchnässt und ihre Beine mit Schlamm bespritzt. Dann stolperte sie zu allem Übel noch und ließ unwillkürlich die Leine los beim Versuch, das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Wenigstens Letzteres gelang ihr. Einige Meter entfernt saß der Hund jetzt am Straßenrand und wirkte sehr mit sich zufrieden.
„So ist’s fein, Eustace. Guter Hund“, sagte Libby beruhigend. „Schön sitzen bleiben.“
Mit ausgestreckten Händen ging sie langsam auf ihn zu, aber als sie die Leine beinah greifen konnte, sprang das Tier auf und rannte bellend die Straße hinunter.
„Das darf doch nicht wahr sein!“ Libby schloss kurz die Augen und stöhnte. Dann machte sie sich auf die Verfolgungsjagd.
Als sie den Hund endlich erreichte, war sie außer Atem und hatte Seitenstechen. Eustace saß mitten auf der schmalen Straße und wedelte wie verrückt mit dem Schwanz, einen seelenvollen Blick in den hellbraunen Augen.
„Schön, dass wenigstens einer von uns beiden seinen Spaß hat“, keuchte Libby und beugte sich vor, die Hände auf die Knie gestützt, um besser atmen zu können. „Lieber Himmel, ich bin so was von überhaupt nicht fit!“
Schließlich richtete sie sich auf und trat einen vorsichtigen Schritt auf den Hund zu. Fröhlich bellend sprang er auf und machte einen spielerischen Satz – leider von ihr weg.
„Ich hab es gar nicht gern, von einem Tier ausgetrickst zu werden, dem sogar seine liebenden Besitzer keinen allzu hohen Intelligenzquotienten zugestehen“, rief Libby wütend.
Du redest mit einem Hund, ermahnte sie sich sofort.
Na und? Schlimm wurde es erst, wenn man von dem Tier eine Antwort erwartete!
Plötzlich hörte sie das Dröhnen eines starken Motors. Auf der Straße waren normalerweise nur Traktoren unterwegs, aber das hier klang eher nach rasantem Sportwagen.
Dann ging alles fürchterlich schnell. So schnell, dass Libby sich später nur verschwommen daran erinnern konnte.
Eben noch hatte sie den schnittigen Wagen registriert und festgestellt, das Eustace, der dumme Hund, offensichtlich annahm, das gehöre zum Spiel dazu. Im nächsten Moment stand sie auf der Straße und winkte wie wild, um den Fahrer zum Anhalten zu bewegen.
Zunächst hielt sie es für eine gute Idee, bis sie den Eindruck hatte, das Auto rase unaufhaltsam auf sie zu und würde sie gleich überfahren.
Rafael machte sich keine großen Gedanken, als die Strecke – die er gewählt hatte, um einen Stau auf der Autobahn zu umfahren – ihn in eine Gegend voller schmaler und kurviger Landstraßen führte. Das Navigationsgerät schaltete er nicht ein. Er verzichtete auch darauf, die Landkarte zurate zu ziehen, die im Handschuhfach lag. Ihm machte es viel mehr Spaß, sich auf seinen ausgezeichneten Orientierungssinn zu verlassen.
Und England war ja nun nicht gerade eine gefährliche Wildnis!
Da hatte er in seinem Leben schon ganz andere Landstriche kennengelernt.
Mit Vergnügen
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