Julia Extra Band 0349
worden. Er braucht liebevolle Zuwendung, keinen strengen Drill.“
Plötzlich schien sie zu merken, dass er nicht bei der Sache war, und schaute ihn an. „Geht es Ihnen nicht gut?“, erkundigte sie sich besorgt. „Tut Ihnen der Kopf weh? Sie sehen irgendwie so …“
„Meinem Kopf geht es ausgezeichnet“, unterbrach er sie heftig, bevor sie seinen Gesichtsausdruck näher beschreiben konnte. Sie sollte nicht wissen, wie elend und allein er sich momentan fühlte!
„Um aufs eigentliche Thema zurückzukommen, nämlich Hunde“, fügte er hinzu, „so kennen Sie sich offensichtlich damit aus und verstehen sie.“
„Lassen Sie es mich so formulieren: Ich ziehe sie Männern vor“, erwiderte sie. „Manchen Männern jedenfalls. Damit ist wohl alles gesagt.“
„Wenn Sie meinen.“
Vergeblich versuchte Libby weiterhin, den Hund zu sich zu locken, bis ihr schließlich der Geduldsfaden riss. Dass der Fremde ihr still, aber kritisch zuschaute, machte die Sache natürlich nicht besser.
Frustriert richtete sie sich auf und funkelte den Mann an. „Also gut, wenn Sie es besser können, zeigen Sie es mir“, forderte sie ihn heraus.
Wider alle Vernunft hoffte sie, er würde ebenso erfolglos sein wie sie.
Aber natürlich war er das nicht!
Er ging einige Schritte auf den Hund zu, sagte etliche herrisch klingende Worte in seiner Muttersprache, und das blöde Vieh – das plötzlich anscheinend Spanisch verstand – kam gehorsam herbeigetrottet.
Nicht nur das! Auf ein weiteres Wort hin setzte Eustace sich vor den Fremden und blickte anbetend zu ihm hoch. Das trug ihm ein Lob und ein Streicheln ein, wobei der Mann auch gleich die Leine ergriff.
„Hier, nehmen Sie“, sagte er und reichte sie ihr.
Libby atmete tief durch, um sich zu beherrschen und nichts Falsches zu sagen.
„Wenn ich Sie mit zu mir nach Hause nehmen würde, wären meine Eltern sicher so begeistert von Ihnen, dass sie sich sofort um Ihre Adoption bemühen würden.“
„Dann wäre ich doch Ihr Bruder, oder?“
„Danke, ich habe schon einen Bruder. Sie haben doch sicher auch Angehörige.“ Womöglich eine Ehefrau? dachte sie entsetzt. Hatte sie nicht nur einen völlig Fremden, sondern einen verheirateten Fremden leidenschaftlich geküsst?
Der schüttelte den Kopf. „Nein, meine Mutter ist vor einigen Jahren gestorben, und sonst habe ich niemanden.“
„Oh, wie traurig!“, rief Libby voller Mitgefühl.
4. KAPITEL
„Traurig? Was ich so in anderen Familien sehe, beneide ich niemanden darum“, meinte der Fremde zynisch.
Libbys Mitgefühl verflog sofort.
„Platz“, fügte er streng hinzu, als der Hund sich winselnd an sein Bein presste.
Daraufhin warf das blöde Vieh sich doch tatsächlich unterwürfig auf den Rücken.
„He!“ Sie zog heftig an der Leine. „Idiot!“
„Man hat mich schon Schlimmeres geschimpft“, meinte der Mann ungerührt.
„Das glaube ich gern“, konterte Libby. „Aber ich habe mit dem Hund geredet.“
„Ach so!“ Er lächelte spöttisch, wurde jedoch ernst, als ein Wagen um die Kurve bog.
Es war ein klassisches rotes Sportwagen-Cabrio mit heruntergeklapptem Verdeck, das sich in gemäßigtem Tempo näherte. Die Fahrerin winkte und hielt neben ihnen an.
Offensichtlich war sie für den Unbekannten keine Fremde. Leider. Denn sie war umwerfend attraktiv: blond und schlank, mit femininen Rundungen an den richtigen Stellen und endlos langen Beinen.
Die glatten glänzenden Haare waren zu einem klassischen Bob frisiert und schwangen ihr um das fein geschnittene Gesicht.
„Hallo, Ra…“, begann sie. „Oh nein! Blut! Mir wird schlecht.“
Libby wurde es ebenfalls flau im Magen, aber aus einem anderen Grund: Welcher Mann küsste eine Fremde, wenn er eine so tolle Freundin hatte?
„Stopp! Keine hysterischen Anfälle“, sagte der Spanier scharf.
Er ist also nicht nur untreu, sondern auch unhöflich, dachte Libby empört und wunderte sich, dass die Blondine sich aus dem rauen Ton offensichtlich nichts machte. Ja, sie schien sogar dankbar dafür zu sein!
„Tut mir leid, dass ich zu spät komme“, entschuldigte sie sich atemlos. „Ich musste ewig lang hinter einem Traktor herzuckeln. Gibt das eine Narbe? Ist die Wunde gesäubert worden?“, fragte sie dann eindringlich.
Rafael spürte, dass seine geschätzte persönliche Assistentin kurz davor stand, eine ihrer zwangsneurotischen Anwandlungen zu bekommen, und versuchte, die Situation zu entschärfen.
Wenn Gretchen sich im Griff hatte, war sie die
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