Julia Extra Band 0350
vier Augen. Aber sie hatte einen leisen Verdacht, dass Rick vielleicht etwas angestellt haben könnte, um den Ärger des Mannes zu provozieren. „Nun gut. Sie werden sich kurzfassen müssen. Wie Sie sehen, stecke ich mitten in der Arbeit.“
Die Verachtung in seinem Blick ließ sie zurückweichen, und nur zögernd ging sie durch die Tür, die er für sie offen hielt. Waren es gute Manieren? Oder wollte er nur sichergehen, dass sein Opfer ihm nicht entkam?
Das Studio lag in einem alten Gebäude, die Tür war solide genug, um die neugierigen Fragen, die jetzt mit Sicherheit durch das Studio schwirrten, nicht bis auf den Treppenabsatz dringen zu lassen. Lily hielt sich so nah wie möglich bei der Tür auf, während der Mann direkt vor der Treppe stand und ihr damit den Weg nach draußen versperrte.
„Nennen Sie mich altmodisch und meinetwegen auch sexistisch, aber die Vorstellung, dass eine Frau junges Fleisch für Profit vermarktet, scheint mir noch abstoßender, als wenn ein Mann es tut. Sie sind eine solche Frau. Eine Frau, die von der Eitelkeit und Naivität anderer lebt und jungen Menschen wertlose Träume und falsche Hoffnungen verkauft.“
Fassungslos starrte Lily den Mann an. Sie war schockiert, dass er eine solche Anschuldigung vorbrachte. Einen Augenblick lang vermutete sie, einem Verrückten gegenüberzustehen, doch sie spürte, dass er durchaus alle Sinne beisammenhatte.
Es war eine typische Geste der Unsicherheit, als sie sich mit den Fingern durchs Haar fuhr. „Ich weiß nicht, worum es geht, aber ich denke, Sie sind einem Irrtum aufgesessen.“
„Sie arbeiten als Fotografin in einer Sparte, die jungen Menschen vorgaukelt, man könne ein glamouröses Model werden, obwohl Sie genau wissen, dass dieser Wunsch sie höchstwahrscheinlich zerstören wird.“
„Das stimmt nicht“, verteidigte sie sich, doch ihre Stimme zitterte leicht. Sprach dieser Mann nicht genau das aus, was sie selbst dachte?
Sie wollte es ihm gerade erklären, da fuhr er unerbittlich fort: „Schämen Sie sich nicht? Verspüren Sie nicht die geringsten Schuldgefühle deswegen?“
Schuldgefühle. Das Wort löste eine Lawine von düsteren Erinnerungen aus. Jähe Panik stieg in Lily auf … sie musste weg von diesem Mann. In ihrer Fantasie malte sie sich aus, wie sie wegrannte, sich in einem stillen Eckchen zusammenrollte und so klein machte, bis niemand sie mehr sehen konnte. Bis niemand sie mehr anfassen konnte. In der Realität jedoch war sie hier auf dem schmalen Treppenabsatz mit ihm gefangen.
„Die Welt, in die Sie meinen Neffen Pietro ziehen wollen, wird von Skrupellosigkeit und Korruption beherrscht, von jenen, die Schönheit und junges Fleisch für eigene Bedürfnisse missbrauchen.“
Sein Neffe? Mit jeder Silbe durchstach er den dünnen Schutzschild, den sie um ihre Emotionen errichtet hatte, und brachte ihr eine neue Wunde bei.
„Ich weiß nicht, wie viele Menschen Ihnen bereits zum Opfer gefallen sind, aber ich kann Ihnen versichern, dass mein Neffe nicht dazugehören wird. Zum Glück hat er genug Verstand besessen, seiner Familie zu erzählen, mit welchen Versprechungen von Ruhm und Reichtum man an ihn herangetreten ist.“
Lilys Puls raste, ihr Mund war wie ausgetrocknet. Diesen Aspekt der Arbeit hatte sie selbst immer gehasst. Sie hatte mit ansehen müssen, wie viele junge Models durch die Hölle gegangen waren, gewissenlos verleitet und verführt.
„Hier haben Sie Ihr Geld zurück.“ Er warf ihr ein Bündel Geldscheine vor die Füße. „Blutgeld … Auf der Party, zu der Sie Pietro nach dem Fotoshooting eingeladen haben, wie vielen skrupellosen Geschäftemachern wollten Sie ihn da vorstellen? So vielen wie möglich, nicht wahr? Denn darum geht es doch in diesem Business.“
Rick hatte den jungen Mann also eingeladen, ihn zu einer Party zu begleiten? Ihr Halbbruder war ein geselliger Typ, es war durchaus üblich für ihn, dass er nach dem Shooting noch auf einen Drink ging. Zudem fand gerade die Mailänder Modewoche statt, alles, was in der Modewelt Rang und Namen hatte, war in der Stadt. Aber auch die schwarzen Schafe der Branche …
„Leute wie Sie widern mich an. Ihr Äußeres mag vielleicht Aufsehen erregen, aber Ihre Schönheit ist nur der Deckmantel, unter dem Sie Ihre innere Verderbtheit und Ihr korruptes Wesen verstecken.“
Lily brauchte dringend frische Luft. Kalter Schweiß stand ihr auf der Stirn, ihr Herz hämmerte wild. Wenn sie nicht an die Luft kam, würde sie in Ohnmacht fallen …
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