Julia Extra Band 159
auf Giffords guten Willen angewiesen sein würde. „Wie wär's mit Rühreiern?" bot sie ihm deshalb bereitwillig an.
„Klingt hervorragend.” Er lächelte spöttisch. „Du willst mich doch nicht vergiften, oder?"
„Und damit unseren guten Ruf ruinieren? Vielleicht schließt man uns gar das Restaurant!" gab sie grinsend zurück. „Nein, das ist die Sache nicht wert!"
Cass war schon halb in Richtung Küche unterwegs, da meinte er plötzlich: „Übrigens, du solltest mich mit Sir anreden. Schließlich bin ich hier Gast und kann wohl ein wenig Höflichkeit erwarten."
Sie drehte sich um und starrte ihn an. Einst hatte sie seinen beißenden Humor amüsant gefunden, doch jetzt war sie versucht, Gifford mitzuteilen, er solle dahin gehen, wo der Pfeffer wächst. „Du träumst wohl!"
Während .sie in der Küche die Eier schlug, briet, Kräuter hackte und Teller und Bestecke heraussuchte, dachte sie überGifford nach. Cass hatte immer gedacht, daß sein Anblick sie, falls sie ihm jemals wieder gegenüberstehen sollte, kaltlassen würde - eiskalt. Nun mußte sie sich leider eingestehen, daß dem nicht so war. Im Gegenteil, mit seinen grauen Augen, umschattet von dichten, dunklen Wimpern, dem markanten Gesicht und der schlanken,, athletischen Figur wirkte er noch immer umwerfend - alarmierend - männlich auf sie.
Hör auf damit, befahl sie sich gleich darauf. Der dynamische Mr. Tait mochte über Charisma und Sex-Appeal in rauhen Mengen verfügen, aber wenn es darum ging, Treue, Fürsorge und Anständigkeit zu zeigen, verdrückte er sich.
Sie arrangierte die Eier auf zwei Tellern, streute die Kräuter darüber und legte gebutterte Toastscheiben dazu.
„Das ging ja schnell", lobte Gifford, als sie mit dem Tablett in den Händen an seinen Tisch trat. Cass stellte einen Teller .vor ihn hin sowie einen Becher Kaffee und legte das Besteck daneben.
„Und jetzt mußt du einen Knicks vor mir machen und mir guten Appetit wünschen", verlangte er grinsend.
„Übertreibe es nicht", warnte ihn Cass. „Meine Geduld hat Grenzen!"
„Würdest du denn knicksen, wenn ich dir ein dickes Trinkgeld gebe?"
„Ich würde es nicht tun, auch wenn du vor mir auf die Knie fällst, die Hände zusammenschlägst und mich anflehst." Sie neigte. den Kopf zur Seite. „Oder vielleicht doch? Willst du es versuchen?"
Er schüttelte den Kopf. „Nicht mein Stil."
Sie setzte sich zu ihm. Während sie aßen, beobachtete Cass Gifford heimlich. Erst jetzt fiel ihr auf, daß sein Gesicht hagerer geworden war, die hohen Wangenknochen traten deutlicher als früher hervor. Er schien auch an Gewicht verloren zu haben und wirkte etwas mitgenommen. War das auf das Wissen zurückzuführen, in Kürze mit seinem Sohn konfrontiert zu werden?
„Dafür, daß ihr erst mittags öffnet, sieht hier alles aber sehr ordentlich aus", bemerkte Gifford und deutete auf die Tische, die schon hübsch gedeckt waren.
„Ich wurde ja auch schon bei Tagesanbruch aus den Federn geholt", erwiderte Cass, „da hatte ich Zeit genug." Gespannt wartete sie auf seine Frage, wer sie denn zu so früher Stunde aus dem Bett getrieben hatte.
„Ist montags viel los?"
„Nein, eigentlich haben wir nur dienstags und donnerstags viele Gäste. Und am Samstag bieten wir ein Buffet an für Gruppen von ungefähr zwanzig Personen. Natürlich kommen auch ab und an Urlauber vom Club Sesel zum Essen herüber und ein paar Rucksacktouristen. Aber sonst ist es hier ziemlich ruhig. Unsere Zufahrtsstraße ist unbefestigt und voller Schlaglöcher, das hält die Leute ab, hier herauszufahren."
„Was sind das für Gruppen?" fragte er interessiert.
„Geführte Touren, die im Vallée de Mai beginnen. Das ist ein geheimnisvoll wirkendes Palmenwäldchen in der Mitte der Insel, das unter Naturschutz steht. Die Touristen kommen dann hierher zum Mittagessen, bevor sie im Reisebus nach Anse Lazio gefahren werden, einem wunderschönen Strand im Norden, wo man wunderbar schwimmen und tauchen kann."
Gifford aß seine Rühreier mit großem Appetit. „Dein Onkel war glücklich hier?" fragte er dann.
„Ja", meinte Cass. „Oscar war ein Exhippie, der wenig zum. Leben brauchte. Hauptsache,. man ließ ihm seine Freiheit." In der Erinnerung an ihren langmähnigen, liebenswert - exentrischen Onkel mußte sie lächeln. Als Überbleibsel der Blumenkinder-Generation war er etwas weltfremd gewesen. „Im Kreolischen gibt es kein Wort für Streß", fuhr sie fort. „Ich denke, dies hier war für ihn genau der.
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