Julia Extra Band 356 - Ebook
vermutete, verkörperte dieser Mann genau das, wovor ihr Halbbruder Vasilii sie so oft gewarnt hatte. Er stellte eine Gefahr dar. Sie war sich dessen bewusst, selbst wenn Vasilii sie oft immer noch wie ein Mädchen und nicht wie eine junge Frau behandelte.
Alena seufzte. Sie liebte Vasilii wirklich sehr, auch wenn er der altmodischste und überfürsorglichste Bruder war, den man sich vorstellen konnte. Doch dem Mann, der sie gegen jede Vernunft so anzog, konnte sie nicht widerstehen. Er stellte alles in den Schatten, was sie bisher in dieser Hinsicht erlebt hatte. War es so etwas wie Liebe auf den ersten Blick oder einfach nur pure Lust, die von ihr Besitz ergriffen hatte? Vielleicht eine Kombination aus beidem. Womöglich hatte sie die Anfälligkeit für durchtriebene russische Männer von ihrer englischen Mutter geerbt, die sich Hals über Kopf in ihren Vater verliebt hatte.
Es spielte keine Rolle. Bei dem, was ihr gerade passierte, halfen ihre keine der analytischen Fähigkeiten, die ihr auf der Schule beigebracht worden war. Nichts hatte mehr Bedeutung außer dem stürmischen Verlangen, das von ihr Besitz ergriffen hatte. Die sexuelle Ausstrahlung dieses Mannes und ihr Bedürfnis, sich der Lust hinzugeben, beherrschten sie völlig. Allein der Gedanke, dieselbe Luft einzuatmen wie er, erzeugte ein wonniges Schwindelgefühl. Ihr Körper befand sich in einem Zustand erotischer Erregung, als hätte er sie bereits berührt, sie liebkost und ihr gezeigt, was es bedeutete, eine Frau zu sein.
Alena erschauerte. Jeden Augenblick konnte er sich umdrehen, und dann würde er sehen, welche Wirkung er auf sie hatte. Ihr Herz machte einen heftigen Sprung, aus Vorfreude und Angst zugleich. Oh ja, er stellte eine Gefahr dar – und sie sehnte sich nach dieser Bedrohung.
Sie war zwar „erst“ neunzehn, wie Vasilii immer wieder betonte, doch alt genug, um zu wissen, was das für ein Typ Mann war, der da mit blitzenden malachitgrünen Augen auf der anderen Seite der exklusiven Hotellobby eine angeregte Diskussion mit einem anderen Russen führte. Er war eine wandelnde sexuelle Gefahr, besonders für eine Frau wie sie. Jemand, der außerhalb aller Konventionen und Regeln lebte.
Mit rasendem Puls beobachtete sie ihn aus den Augenwinkeln. Er war groß – mindestens einen Meter neunzig, so wie Vasilii, jedoch etwas jünger als er, vielleicht Anfang dreißig. Sein dickes rotbraunes Haar hätte in den Augen ihres Halbbruders sicher einen Haarschnitt verdient.
Seine energischen Gesichtszüge verrieten, dass er einer Linie entstammte, deren männliche Vertreter es gewohnt waren, alle Konkurrenten zu bekämpfen und zu besiegen. Ein absoluter Alphamann, bereit, jeden herauszufordern, der ihm dieses Recht absprechen wollte.
Er hieß Kiryl Androvonov, und schon der Klang dieses Namens betörte ihre Sinne. Sie hatte sich so erwachsen und selbstsicher gefühlt, als sie den Hotelportier ganz beiläufig nach dem Mann dort drüben gefragt hatte. Sie hatte vorgegeben, in ihm einen Bekannten ihres Bruders zu erkennen. Der Name Kiryl deutete auf einen Adelstitel hin, doch der Portier sagte nur, dass er ein Geschäftsmann sei und bereits zum zweiten Mal hier zu Gast sei.
Kiryl hatte nicht im Sinn gehabt, ihren Blick zu erwidern. Den Blick dieser schlanken, gazellenhaften jungen Frau mit dem seidigen dunkelblonden Haar und den silbergrauen Augen, die ihn an das fahle Sonnenlicht auf einem zugefrorenen See erinnerten. Oder an heimtückische Sirenen, die Männer in ein nasses Grab lockten. Zum einen war sie ganz und gar nicht sein Typ, und zum Zweiten hatte er weitaus Wichtigeres zu tun, als ihrer stummen, aber unmissverständlichen Einladung zu folgen.
Doch er hatte ihren Blick erwidert, daran gab es nichts zu deuten. Sie saß immer noch in demselben Sessel wie vorher und schenkte sich Tee aus einem Samowar ein, mit dem das Hotel seine russischen Gäste verwöhnte.
Sie trug keinen Ehering, was in der heutigen Zeit jedoch nichts bedeutete. Vielleicht war sie ein Callgirl der höheren Klasse, das seinen Köder auswarf? Vielleicht, doch Kiryl bezweifelte es. Eine Nutte hätte sich schon längst an ihn rangemacht; Zeit ist Geld, auch in dieser Branche.
Aber sie hatte es auf ihn abgesehen, das wusste er. Doch er versagte sich jegliche Begierde. Obwohl der zweifellos astronomisch teure Seidenpullover, den sie trug, verführerisch ihre perfekt geformten Brüste zur Geltung brachte. Dennoch, die schimmernden kleinen Perlmuttknöpfe, die ihr
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