Julia Extra Band 362
mit seinem Talent als Kellner beeindruckt, doch leider hatte er wohl keins.
Während der vergangenen Monate war ihm aufgefallen, dass auch dieses Lokal mit der anhaltenden Wirtschaftskrise zu kämpfen hatte. Obwohl die Preise sehr human waren, konnten es sich immer weniger Leute leisten, essen zu gehen. Vielleicht wäre dem Morning Glory mit einer Marketingkampagne geholfen, um sich von der großen Konkurrenz in Boston abzuheben.
Darüber hatte er gerade nachgedacht, als ihm Tisch sieben zugewiesen wurde – ein Ecktisch am Fenster für vier Personen. Aus irgendeinem Grund hatte Stace einen einzelnen Gast an den Tisch gesetzt.
Bevor Riley ihn begrüßen konnte, hob der Mann eine Hand. Er war groß und hager und wirkte mit seinem grauen Bart wie ein Grizzlybär. Dieser Eindruck wurde vom dunkelbraunen Flanellhemd und Cargohose noch verstärkt. Vergeblich überlegte Riley, woher ihm dieser Mann bekannt vorkam.
„Du bist neu“, sagte er. „Also hör genau zu: Ich will keine Speisekarte und keine Empfehlung. Du kannst auch für dich behalten, was du vom Tagesgericht hältst. Ich will eine Tasse Kaffee, heiß und nicht lauwarm, und einen Cheeseburger mit Pommes. Spar nicht an den Fritten, und klau in der Küche nicht heimlich welche von meinem Teller!“
„Das würde ich nie …“
Der Mann überhörte Rileys entrüsteten Protest und fuhr fort: „Das Fleisch muss durch sein, also ohne jeden rosa Schimmer. Richtig dunkelbraun. Verstanden? Kolibakterien als Beilage kann ich nicht gebrauchen.“
Riley notierte Burger, Pommes und Kaffee auf seinem Block und fügte „gut durch“ hinzu. Dreimal unterstrichen. „Kommt sofort, Sir.“
„Die Anrede kannst du dir schenken. Bring mir einfach nur das Essen!“ Der Gast musterte ihn von oben bis unten. „Was hat Frank sich nur dabei gedacht, dich einzustellen? Du hast ungefähr so viel Ähnlichkeit mit einem Kellner wie ein Walross.“
Bevor Riley darauf reagieren konnte, hob der Mann erneut die Hand. „Spar dir deine traurige Geschichte. Ich habe sie schon unzählige Male gehört: Ich habe meinen Job verloren, bin aus meiner Wohnung geflogen, musste meinen Hund weggeben. Interessiert mich alles nicht. Bring mir einfach nur mein Essen!“ Der Mann entfaltete seine Zeitung und vertiefte sich in den Sportteil.
Frustriert wandte Riley sich ab und marschierte in die Küche. Bevor er die Bestellung bei Frank aufgeben konnte, lachte der Koch wissend. „Wie ich sehe, hast du gerade Walters Bekanntschaft gemacht.“
„Der Typ von Tisch sieben? Ja.“ Riley fuhr sich durchs Haar. „Ist er immer so freundlich?“
„Heute hat er gute Laune. Normalerweise brüllt er mir die Bestellung quer durchs Lokal zu.“ Frank legte einen Hamburger auf den Grill und schüttete Pommes frites in den Frittierkorb. „Bring ihm lieber schnell den Kaffee. Walter wartet nicht gern.“
Auf dem Weg zur Kaffeemaschine wurde Riley von einem Gast abgelenkt, der zu einer Besprechung musste und sein Essen mitnehmen wollte. Dann bat jemand, ihm noch einen Salat zu bringen, und ein dritter Gast brauchte mehr Servietten. Riley bemühte sich, alle Wünsche zu erfüllen, und flitzte hin und her. Wie bewältigte Stace eigentlich alle Bestellungen, ohne je gehetzt zu wirken? Erneut fragte er sich, ob er diesem Job gewachsen war. Eigentlich brauchte er eine Assistentin. Bei McKenna Media hatte er auch zwei Assistentinnen gehabt. Er war es einfach nicht gewohnt, Mädchen für alles zu sein. Dieser Job war wesentlich zeitaufwendiger und schwieriger, als er je für möglich gehalten hätte.
Bei Stace wirkte das alles so mühelos. Sie begrüßte jeden Gast mit einem Lächeln, schwebte förmlich zwischen Küche und Tischen hin und her und verfiel nie in Hektik. Bewundernd beobachtete er sie.
„He, Neuer! Kaffee!“
Riley merkte auf, winkte Walter zu und füllte einen Becher mit heißem Kaffee. Den wollte er gerade servieren, als die Küchenglocke schellte.
„Bestellung für Tisch sieben“, rief Frank.
Sofort drehte Riley sich auf dem Absatz um, griff nach dem Teller und machte sich eilig auf den Weg zu Walter, wobei der Teller leicht in Schieflage geriet, was Riley gerade noch rechtzeitig bemerkte. „Bitte sehr, Ihre Bestellung: ein Burger gut durch, Pommes, Kaffee.“
Angewidert musterte Walter das Ganze. „Ich habe heißen Kaffee bestellt. Der hier ist nicht heiß.“
„Er ist frisch aus …“
„Du hast ihn eingeschenkt, bevor du in die Küche gegangen bist. Es spielt keine Rolle, ob das
Weitere Kostenlose Bücher