Julia Extra Band 362
winzigen Moment lang gestattete er sich die Erinnerung an seine geliebte Schwester, die ertrunken war, als er gerade mal dreizehn Jahre alt gewesen war: Ein entsetzlicher Verlust, der ihn mutterseelenallein in einer feindlichen Welt zurückgelassen hatte. Seine Schwester war der einzige Mensch gewesen, von dem er sich jemals geliebt gefühlt hatte.
Und jetzt schien endlich der Augenblick gekommen, auf den Vitale Roccanti beinahe zwanzig Jahre hingearbeitet hatte. Sein Feind Blake stand vor seinem absolut größten Triumph. Wenn Vitale noch länger wartete, würde er nicht mehr an sein Opfer herankommen, denn als Schwiegervater von Sergios Demonides wäre Blake unantastbar. Wie in aller Welt war es dem Kerl nur gelungen, einen derart großen Fisch wie Demonides einzufangen?
Lag es an dem viel gerühmten Charme Tinkerbelles, der man nachsagte, dass ihr Verstand nicht größer war als der einer Maus? War sie der einzige Grund?
Vitale hatte nie zugelassen, dass eine Frau ihm den Kopf verdrehte, und er hätte gedacht, dass Demonides ähnlich vernünftig wäre. Seine Lippen verzogen sich verächtlich. Wenn er dafür sorgte, dass die Verlobung platzte, wäre vermutlich auch der Business-Deal hinfällig. Monty Blake, der dringend einen Käufer benötigte, würde vor dem Ruin stehen.
Vitale hätte sich nie träumen lassen, dass er sich einmal so unangenehm intim würde mit seinem Feind befassen müssen, um seine lang ersehnte Rache ausüben zu können! Aber er war der Überzeugung, dass Monty Blakes Grausamkeit ähnlich rücksichtslose Mittel verlangte. Schließlich sollte die Strafe dem Verbrechen gerecht werden.
Über mangelnden Erfolg bei Frauen hatte Vitale sich nie beklagen können. Jetzt betrachtete er seine Beute – Tinkerbelle – aufmerksam. Um seine Mundwinkel zuckte es. Seiner Ansicht nach war es legitim, dass er sie benutzte. Und hieß es nicht, dass Leid den Charakter formte?
Blakes Tochter Zara war mit ihren riesigen blauen Augen und dem herzförmigen Gesicht zweifellos eine Schönheit, aber sie wirkte auch so oberflächlich und hohl wie eine Barbiepuppe, und sie war ganz sicher keine schüchterne Jungfrau mit zarten Gefühlen. Sicher, sie würde den Verlust eines derart wohlhabenden Mannes wie Demonides bedauern, aber Vitale vermutete, dass sie, ähnlich wie ihre Mutter, ein verdammt dickes Fell und ein Herz aus Stein besaß. Über die Enttäuschung würde sie schnell hinwegkommen. Und wenn sie aus der Geschichte auch noch ein oder zwei Dinge lernte, dann war das nur zu ihrem Vorteil …
„Ich fasse es nicht, dass du Sergios Demonides heiraten willst!“, rief Bee aus, die Zara mit erkennbarer Sorge betrachtete.
Obwohl sie nur unwesentlich größer war als ihre zierliche Halbschwester und beide Frauen denselben Vater hatten, war Bee aus ganz anderem Holz geschnitzt. Zara wirkte so zerbrechlich, als würde sie beim kleinsten Lufthauch davonwehen, während Bee die dunkle Mähne und die bronzefarbene Haut ihrer spanischen Mutter geerbt hatte und beträchtliche Kurven besaß.
Bee war Monty Blakes Tochter aus seiner ersten Ehe. Sie und Zara standen sich sehr nahe. Montys dritte Tochter, Tawny, war das Produkt einer außerehelichen Affäre. Weder Bee noch Zara kannten ihre jüngste Schwester besonders gut, was daran lag, dass Tawnys Mutter äußerst verbittert war über die Art, in der Monty Blake sie behandelt hatte.
„Was ist daran so unverständlich?“, entgegnete Zara und zuckte betont lässig die Schultern. Sie hatte Bee sehr gern und wollte keinesfalls, dass ihre Schwester sich ihretwegen Sorgen machte. „Ich bin es leid, Single zu sein, und wünsche mir Kinder …“
„Wie kannst du es leid sein, Single zu sein? Du bist gerade mal zweiundzwanzig und ganz bestimmt nicht rasend in Demonides verliebt!“, protestierte Bee, die ihre Schwester ungläubig anstarrte.
„Nun … ähm …“
„Du kannst ihn nicht lieben – mein Gott, du kennst ihn ja kaum!“, rief Bee, die Zaras kurzes Zögern sofort ausnutzte. Demonides hatte einen äußerst schlechten Ruf, was Frauen anging, und war außerdem bekannt dafür, ein extrem kaltblütiger Mensch zu sein.
Zara hob trotzig das Kinn. „Das hängt davon ab, was du dir von der Ehe wünschst. Alles, was Sergios will, ist eine Frau, die sich um die Kinder kümmert, die sich in seiner Obhut befinden.“
Bee runzelte die Stirn. „Die drei Kinder seines Cousins.“
Zara nickte. Vor ein paar Monaten waren Sergios Demonides’ Cousin und dessen Frau
Weitere Kostenlose Bücher