Julia Extra Band 363
immer, Melissa und ich würden uns so lange die Welt anschauen, bis die ersten Enkelkinder kommen.“
„Enkelkinder wirst du sicher einmal haben. Und für Reisen bleibt dir noch eine Menge Zeit. Schließlich bist du noch nicht in den Neunzigern“, scherzte Stacey. Zum ersten Mal fragte sie sich, wie ihr Leben im Alter aussehen würde. Sie fände es schrecklich, dann ohne Familie zu sein, mit der sie Geburtstage und andere Feste feiern konnte. Ihr Wunsch nach einer eigenen Familie wurde immer stärker.
„Und wie sieht es mit dir aus?“, fragte Luis.
„So weit habe ich eigentlich noch gar nicht gedacht.“ Stacey wollte nicht gern zugeben, dass ihr bisheriges Leben allmählich an Reiz verlor. Wollte sie wirklich weiterhin in der Weltgeschichte umherreisen? Oder war es an der Zeit für Veränderungen?
Wenig später kamen die Zwillinge wieder zurück. Beide trugen Matrosenmützen, die sie vom Kapitän bekommen hatten. Stacey freute sich sehr, dass Pablo zuerst ihr erzählte, wie er dem Kapitän geholfen hatte, das Schiff zu steuern.
Es wurde ein wunderschöner Nachmittag. Stacey genoss jede Minute davon und würde diesen Ausflug nie vergessen.
„Ist es dir recht, wenn wir unterwegs zu Abend essen?“, fragte Luis. „Ich habe Großmutter schon gesagt, dass wir vermutlich nicht zum Essen zurück sein werden. Oft geht es dabei so laut zu wie in einem überfüllten Restaurant.“
„Eure Verwandten freuen sich eben, wieder mal zusammen zu sein, und wollen alle Neuigkeiten erfahren.“
„Ich weiß. Trotzdem sind mir ruhigere Mahlzeiten lieber – mit dir.“ Lächelnd blickte er ihr in die Augen. Stacey wurde bewusst, dass er mit ihr flirtete. Neue Erregung stieg in ihr auf. Aber hatte sein Flirt wirklich etwas zu bedeuten?
Nachdem sie im Ort zu Abend gegessen hatten, kehrten sie gerade rechtzeitig zurück, um die Zwillinge ins Bett zu bringen. Luis half dabei. Zu Hause in New York brachte er sie nur selten mal ins Bett, denn normalerweise schliefen sie schon, wenn er aus der Firma kam. Es machte ihm große Freude, und er beschloss, es öfter zu tun. Wie schnell würden sie zu groß sein, um ins Bett gebracht zu werden und einen Gutenachtkuss zu fordern?
Er hörte auch gern zu, wenn Stacey den beiden noch eine Geschichte erzählte wie jetzt. Es rührte ihn ans Herz, wie seine Söhne mit großen Augen andächtig lauschten. Staceys Geschichten waren einfach und auf das Alter der Zwillinge zugeschnitten, aber trotzdem voll von aufregenden Abenteuern.
Stacey war eben etwas Besonderes.
Luis holte tief Luft. Er hatte die Liebe kennengelernt, und es hatte tragisch geendet. Ein zweites Mal würde er sein Herz nicht riskieren. Aber wie sollte er es jemals fertigbringen, sich am Ende des Urlaubs von Stacey zu trennen?
Nachdem sie den Zwillingen eine gute Nacht gewünscht hatten, fragte er Stacey, ob sie mit ihm noch einen Rundgang durch die Gartenanlagen machen wolle.
„Einen kleinen“, erwiderte sie.
Sie gingen nach unten und verließen das Haus.
Die verschlungenen Wege, die durch die Anlagen führten, waren wie immer romantisch erleuchtet. Ein betörender Duft von Jasmin hing in der Luft, am Himmel glitzerten die Sterne. Seite an Seite schlenderten sie dahin und genossen die Stille des Abends.
Schließlich ließen sie sich auf einer Bank nieder, die versteckt zwischen blühenden Sträuchern stand.
„Heute war wieder ein besonders schöner Tag“, bemerkte Stacey. „Die Zwillinge blühen hier richtig auf.“
„Nicht nur das, sie benehmen sich auch vorbildlich. Erinnerst du dich an den ersten Tag, als ich ihnen schlimme Strafen androhte für den Fall, dass sie nicht folgen würden? Oft genug musste ich einen Ausflug abbrechen, weil sie sich unmöglich benahmen. Aber bei dir haben sie das noch nie getan.“
„Sie müssen eine feste Hand spüren“, meinte sie.
„Das ist richtig, aber es ist nicht alles. Hier haben sie auch andere Kinder zum Spielen und Verwandte, die sich um sie kümmern.“ Luis betrachte Stacey nachdenklich. „Du hast Wunder vollbracht.“
Er sah, wie ihre Augen im diffusen Licht strahlten. Das Haar lag wie ein goldener Schein um ihren Kopf. Luis hätte sie immerzu ansehen können.
„Ich werde die Zwillinge vermissen“, sagte sie leise.
„Du wirst ihnen ebenso fehlen.“ Luis verfiel in Schweigen. Sein Blick wanderte über den riesigen Garten. Er war der ganze Stolz seiner Großmutter. Seit ihrer Hochzeit hatte sie in diesem Haus gelebt und war nie viel auf Reisen gewesen.
Weitere Kostenlose Bücher