Julia Extra Band 366
hatte meine Mutter einen Kalender mit all meinen Behandlungen. Wenn wir aus dem Krankenhaus nach Hause gekommen sind, habe ich mit einem roten Stift ein großes Kreuz über die Behandlung gemalt, weil sie vorbei war.“
Sophie hatte in sachlichem Ton gesprochen, als hätte sie ihre Krankheit vor langer Zeit mit sich ausgemacht und hinter sich gelassen.
Aber hatte sie das tatsächlich? Dan erkannte, dass er die Frau, die ihn in das Pub geführt hatte, früher schon flüchtig erlebt hatte. Hier und da ein funkelnder Blick oder eine neckende Bemerkung. Es war, als würde Sophie ihre Organisationswut wie einen Schutzpanzer tragen und nur gelegentlich jemandem zeigen, wie sie wirklich war.
Dan wollte mehr von dieser echten Sophie sehen.
Wie konnte er sie ermutigen, von dem Weg abzuweichen, den sie für sich ausgearbeitet hatte? Er war selbst einmal mit Scheuklappen vor den Augen den falschen Weg entlanggelaufen. Nicht, dass die Lösung, die er gefunden hatte – seinen Beruf aufgeben, ein Lokal kaufen und festen Beziehungen abschwören – für Sophie von Nutzen wäre.
Sie beobachtete ihn, wartete darauf, dass er etwas sagte. Neben ihr küsste sich ein junges Pärchen leidenschaftlich. Ein Mann in Surfshorts schüttete ihr fast Bier aufs Kleid, als er sich an ihr vorbeidrängelte.
In diesem Pub konnten sie das Gespräch nicht führen. Sie sollten überhaupt nicht hier sein. Dan hatte bloß hineingewollt, weil Sophie dagegen gewesen war. „Die Kneipe ist grässlich. Möchtest du gehen?“
Eifrig nickte sie. „Ich bin sicher, dass ich meine Spontaneitätsquote für den Abend erfüllt habe.“
Wenige Minuten später waren sie draußen. Der leichte Wind war kühler geworden, und Sophie umfasste ihre Arme. Dan hatte kein Jackett, das er ihr anbieten konnte, deshalb legte er ihr den Arm um die Schultern und zog Sophie an sich. Sofort blieb sie stehen und blickte ihn an. In den High Heels war sie fast so groß wie er, was eine nur kleine Lücke zwischen ihrem Mund und seinem bedeutete. Günstig.
„Sehr galant, aber ein bisschen zu liebevoll für eine erste Verabredung, meinst du nicht?“, sagte Sophie. Allerdings bemühte sie sich keineswegs, von ihm abzurücken.
„Nein“, erwiderte Dan. „Du?“
„Wahrscheinlich nicht.“
Sie gingen weiter, die Entfernung zu seinem Auto war ärgerlich kurz. Ihm gefiel, wie gut sich Sophie seinen Schritten anpasste.
Was soll denn das? fragte er sich plötzlich. Zum Teil zweifelte er, ob es richtig war, sie zu berühren. Daran zu denken, sie zu küssen und aus dieser Scheinverabredung eine echte zu machen. Eigentlich fand er jedoch, dass den Arm um Sophie zu legen die beste Idee war, die er jemals gehabt hatte.
Beim Auto drehte er Sophie herum, sodass sie mit dem Rücken die Beifahrerseite streifte. Im Wind hatten sich ein paar Haarsträhnen gelöst und wehten ihr ums Gesicht. Jubel brandete im Pub auf, als ein Rockklassiker aus den Achtzigerjahren gespielt wurde. Die Musik dröhnte bis nach draußen auf die Straße.
Zwar stand Dan dicht vor ihr, doch er berührte Sophie nicht mehr. Er sah ihr an, dass sie nachdachte. Sicher entwarf sie im Geiste schnell eine Pro-und-Kontra-Liste. Wahrscheinlich sollte er dasselbe tun.
Sophie küssen
Pro: Ich komme dazu, Sophie zu küssen.
Kontra: …
„Du findest mein ganzes Planen und Durchstreichen dumm, stimmt’s?“, fragte Sophie.
„Nein.“ Dan stellte sich Sophie als Zehnjährige vor, wie sie in der Küche stand, einen roten Stift in der Hand. „Nicht dumm. Tapfer.“
„Vielleicht, als ich zehn war.“
„Nein, nicht nur mit zehn.“
„Nach der Sache mit Rick brauchte ich etwas, worauf ich mich konzentrieren konnte. Manchmal übertreibe ich es wohl.“ Sophie lachte, es klang hohl. „Und rutsche langsam ab ins Verrückte und Besessene.“
Dan hob ihr Kinn an und sah ihr in die Augen. „Du bist nicht verrückt. Von einem Ziel besessen zu sein, das kenne ich auch.“
„Von deinen Bars, meinst du.“
„Ja.“ Und seinem früheren Beruf, dem Studium, seiner Ehe.
„Du bist überhaupt nicht wie ich. Du bist spontan, amüsierst dich mit Frauen, wechselst den Beruf und sagst einer Unbekannten zu, als ihr Scheinpartner mit ihr zu einer Hochzeit zu gehen.“ Sophie seufzte laut. „Im umgekehrten Fall hätte ich wahrscheinlich erst die Vorteile, Nachteile, Chancen und Gefahren analysiert.“ Noch ein lautes Seufzen. „Meine Güte, ich bin wirklich langweilig.“
„Wieder falsch.“
„Das ist nett von dir, aber
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