Julia Extra Band 366
zum Abendessen ein. Er fuhr die kurze Strecke zu ihrem Vorort am Fluss und schlängelte sich durch Straßen mit luxuriösen Villen. Anders als Sophie war er nicht in dem Haus aufgewachsen, in dem seine Eltern jetzt wohnten. Im Lauf der Jahre waren mit der Rechtsanwaltsfirma seiner Eltern auch ihre Häuser größer geworden. Und bei jedem Umzug hatten sie eines in noch schickerer Lage gekauft. Jetzt, im Ruhestand, wohnten sie im wahnsinnig teuren und wahnsinnig malerischen Peppermint Grove in einer riesigen Villa mit Blick auf den Fluss.
Zweifellos war es ein schönes Haus, aber dass Sophie noch immer in ihrem alten Zimmer schlafen konnte, gefiel ihm irgendwie. Es war ein netter Gedanke, nur in einem einzigen Haus aufzuwachsen und vielleicht eines Tages die eigenen Kinder zum Übernachten bei der Großmutter vorbeizubringen …
Was?
Dan parkte am Ende der Auffahrt und zwang sich, diesen ungewünschten kleinen Tagtraum zu verdrängen. Es war Jahre her, dass er sich solchen Fantasien hingegeben hatte.
In dem Moment, in dem er ausstieg, öffnete seine Mutter die Haustür.
„Hallo, Dan!“
Er lief die Sandsteinstufen hinauf und amüsierte sich über den Samstagabendaufzug seiner Mutter. „In dem blaugrünen Jogginganzug siehst du wundervoll aus, Mum“, sagte er und erntete ein strahlendes Lächeln.
„Ach, das alte Ding?“ Sie stemmte die Arme in die ein bisschen molligen Hüften und nahm eine Modelpose ein.
Lachend folgte Dan ihr in die Eingangshalle und vorbei an den vorderen Räumen in den offenen Ess- und Kochbereich. Sein Vater saß an dem geschwungenen Glastisch, umgeben von Schnellheftern und Dutzenden Blatt Papier.
„Genießt du deinen Ruhestand, Dad?“, fragte Dan scherzhaft, als er sich ihm gegenübersetzte.
Sein Vater sah auf. „Es ist ein interessanter Fall.“ Das sagte er jedes Mal, wenn er über Akten saß, statt seine freie Zeit zu genießen.
Während seine Mutter das Abendessen zubereitete, stellte Dan seinem Vater Fragen über den Fall und half ihm später, den ganzen Papierkram ins Arbeitszimmer zu tragen. Seine Mutter murrte, dort hätte er das Zeug gleich lassen sollen, und sein Vater konterte, er arbeite eben viel lieber in ihrer Nähe. Das brachte ihm die größte mit Rindfleisch und Reis gefüllte Paprikaschote in selbst gemachter Tomatensoße ein. Von den kroatischen Gerichten, die seine Mutter regelmäßig kochte, mochte Dan dieses am liebsten.
„Vermisst du es?“, fragte seine Mutter, als sie mit Essen fertig waren.
Er wusste genau, was sie meinte. „Ich bin kein Anwalt mehr und werde es nie wieder sein, Mum.“
„Aber du hast dich für den Fall deines Vaters interessiert.“
Frustriert, weil sie das Gespräch erneut führten, nickte Dan. „Ja. Das heißt nicht, dass ich den Beruf wechseln will.“
„Wirklich schade. Jahrgangsbester an der Universität.“ Sein Vater schüttelte den Kopf.
„Müssen wir das wieder erörtern?“ Dan konnte sich nicht einmal über seine Eltern ärgern, denn sie missbilligten nicht völlig, was er getan hatte, sondern konnten es einfach nur nicht verstehen. Auf ihre Art waren sie stolz auf seinen Erfolg als Barbesitzer, aber eben nicht so stolz wie auf sein bestandenes Juraexamen oder seinen ersten Job als Anwalt.
Außerdem waren sie überzeugt, dass er nur „eine Phase durchmachte“ und sich noch immer vom Scheitern seiner Ehe erholte. Er hatte sich innerlich leer gefühlt, als Amalie ihn verlassen hatte, doch das war jetzt keineswegs mehr so.
Im Gegensatz zu vielen anderen Dingen aus jener Zeit bereute er es nicht, die Lokale gekauft zu haben. Es war das Beste, was er jemals für sich selbst getan hatte. Die Enttäuschung seiner Eltern war das einzige Haar in der Suppe. Sie vermissten den zwanghaft zielstrebigen Jurastudenten, der begeistert davon gesprochen hatte, eines Tages ihre Kanzlei zu übernehmen.
Er vermisste ihn nicht.
Während seine Mutter ihn über den Tisch hinweg musterte, trug sein Vater die Teller in die Küche und räumte die Geschirrspülmaschine ein. Den dunklen Teint und das schwarze Haar hatte Dan von seiner Mutter geerbt, aber die blauen Augen von seinem Vater. Ihre waren haselnussbraun.
„Nina ist wieder schwanger“, sagte sie. „Das Kind kommt im Mai. Ist das nicht wundervoll?“
„Das ist ja großartig! Ich werde sie gleich diese Woche anrufen.“ Dan freute sich aufrichtig für seine Cousine.
Seine Mutter nickte langsam und wurde dann wieder still. Die Atmosphäre hatte sich nur kurzfristig
Weitere Kostenlose Bücher