Julia Extra Band 366
ihm, einem Mann, der vor ihr mit dem Handy am Ohr auf- und abmarschierte, als ob all das selbstverständlich wäre? Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken.
Was wird von dir übrig sein, wenn das alle vorüber ist? flüsterte eine innere Stimme. In welche Person wirst du dich verwandelt haben, wenn du irgendwann aufhörst, Larissa zu spielen?
Ich werde ich selbst sein, sagte Becca sich strikt. Und ich werde endlich frei sein von der Vorstellung, dass diese Menschen irgendeine Bedeutung für mich haben.
„Muriel wird Sie zu Ihren Räumen führen“, sagte Theo. Sie erschrak, als er sich plötzlich nach ihr umdrehte. Hoffentlich war sie nicht mit offenem Mund dagestanden wie eine Landpomeranze, die die Reichtümer ihres Arbeitgebers bewunderte.
Sie musste schlucken, als sie sich der Frau zuwandte, die unbemerkt eingetreten war. Woher war sie gekommen? Aus der Küche? Aus den Bedienstetenräumen? Aus einem Zauberreich? Nichts konnte sie mehr überraschen.
„Ich muss noch einige Telefonate erledigen. Aber ich werde Sie in einer Dreiviertelstunde abholen“, erklärte Theo ihr in geschäftsmäßigem Ton.
Vorhin im Wagen hatte er noch anders geklungen. Becca fröstelte.
„Gut“, sagte sie. Er würde die ganze Angelegenheit ausschließlich geschäftlich betrachten. Warum also sollte er in einem anderen Ton mit ihr reden?
„Als Erstes werden wir uns Ihrer Frisur widmen“, sagte er und kniff die Augen zusammen.
Instinktiv fasste sie sich an ihren kastanienfarbenen Pferdeschwanz und war über seine Äußerung nicht einmal überrascht.
Larissa war für ihr wasserstoffblondes Haar ebenso bekannt wie für ihre fragwürdigen Manieren. Becca hatte bisher nicht jedes Detail ihrer Scharade durchdacht, doch ihr Haar zu bleichen war auf jeden Fall sinnvoll.
„Werden Sie mich selbst in eine Blondine verwandeln?“, fragte sie. Sie wollte kühl sein, fühlte sich aber ziemlich verunsichert, als sie sich vorstellte, wie seine starken Hände ihr Haar und ihre Kopfhaut bearbeiteten.
„Ich werde Sie in exakt das Geschöpf verwandeln, das Sie darzustellen haben“, sagte er und legte den Kopf schräg. „Fragt sich nur, ob Sie Ihre Rolle auch beherrschen werden.“
„Ich kann alles, wenn ich will“, entgegnete sie, während er nur dastand, stark und ruhig, und sie beobachtete.
Panik ergriff sie – und etwas Dunkleres, Heißeres.
„Das werden wir sehen!“
Mit diesen Worten verschwand Theo Markou Garcia und ließ eine sprachlose Becca in dem riesigen Raum zurück.
„Kommen Sie“, sagte Muriel und geleitete sie in ihr Verhängnis.
Blond wirkt sie noch mehr wie eine Bedrohung, dachte Theo in einer Mischung aus Zorn und Resignation.
Warum Bedrohung? durchfuhr es ihn. Wie könnte sie ihn jemals bedrohen ? Er war Theo Markou Garcia und sie … war das, was er aus ihr formte. Er starrte das Mädchen an, das sich in der Gästesuite, die er ihr zugewiesen hatte, aufhielt und sich selbst aus dunklen, verhangenen Augen im Spiegel betrachtete. Zerbrechlich sah sie aus, fast ein wenig entmutigt. Als ob sie sich nicht ganz im Klaren war, worauf sie sich eingelassen hatte.
Doch vor allem – sie sah aus wie Larissa.
Francoise war als Haarstylistin ein Genie, und sie war diskret – auch ohne die Riesensumme, mit der Theo sich ihr Schweigen erkauft hatte. Sie hatte ein wahres Meisterwerk geschaffen. Beccas Haar war eine Symphonie in Blond. Vom sonnenverwöhnten blassen Schimmer bis hin zur Farbe des Honigs umschmeichelte es sie in blonden Wogen und umrahmte ein Gesicht, das ohne Zweifel das von Larissa war.
Larissa – aber Beccas Augen glänzten vor Feuer und Temperament. Larissa – aber sprühend vor Lebenslust und hellwach. Nicht betäubt und dumpf.
Vielleicht war Beccas Nase eine Idee schmaler, ihr Kinn eine Spur ausladender, ihre Lippen voller. Aber nach diesen Unterschieden musste man schon suchen. Sie waren kaum zu entdecken. Wenn er nichts von der Täuschung wüsste, wäre die Frau vor ihm Larissa.
Niemand würde es merken. Alle würden nur das sehen, was sie zu sehen erwarteten. Theo konnte das wie kein anderer nachempfinden. Die Anzeichen seiner bescheidenen Anfänge waren ihm stets angehaftet – bis er Larissa traf. Bei ihr hatte er seine Ungeschliffenheit dazu benutzen können, um sich dahinter zu verstecken. Sie hatte in ihm einen weiteren Rebellen gesehen, mit dem sie ihre Eltern ärgern konnte, ohne zu ahnen, wie ehrgeizig Theo sein konnte.
„Die Ähnlichkeit ist verblüffend“, sagte er.
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