Julia Extra Band 366
wie sie den Kopf zur Seite neigte, das alles gehörte zu Becca.
„Meine Mutter starb drei Tage nach meinem achtzehnten Geburtstag“, sagte sie ohne jede Regung. „Meine Schwester und ich hielten das für einen glücklichen Zufall. Denn wäre ich noch nicht achtzehn gewesen, hätten sie mir Emily weggenommen. Ich war gezwungen, mein eigenes Leben zu leben und mich um Emily zu kümmern. Es gab niemand anderen auf der Welt. Ganz gewiss nicht Larissa und die Familie, die es vorzog, wegzusehen, obgleich man sie verständigt hatte. Vielleicht hatten sie auch keine Zeit dafür, weil sie in Newport beim Segeln waren.“
Sekundenlang hingen ihre Worte wie ein Fluch in der Luft.
„Wahrscheinlich war es ihnen egal“, kommentierte Theo ohne mit der Wimper zu zucken frostig. Seine Bemerkung sollte sie beide auf den Boden der Tatsachen zurückbringen.
Sie wurde blass und hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Eine Sekunde lang hasste er sich dafür. Denn wenn jemand den Grund für ihren Schmerz verstehen musste, dann war er es. Doch es gab Wichtigeres. Er durfte seine Ziele nicht aus den Augen verlieren. Das war bisher noch nie der Fall gewesen, nicht einmal während seiner trostlosen Kindheit in den Armenvierteln von Miami. Sobald die Wertpapiere ihm gehörten, war er Eigentümer . Er wäre dann einer von ihnen . Mehr als eine angeheuerte Hilfskraft. Endlich. Alles würde er tun – und hatte es schon getan –, damit sein Vorhaben Wirklichkeit wurde.
„Genauso wie es mir egal ist“, fuhr er fort, ohne Rücksicht auf seine Gefühle zu nehmen. „Wir sind hier kein Forum für Ihre Beschwerden gegen die Familie Whitney. Dies ist auch keine Therapiesitzung.“
„Sie sind ein Schwein“, fuhr sie ihn an.
In dieser Stimmung, dachte er in einem Anflug schwarzen Humors, ist sie doch wie Larissa.
„Mich interessiert nicht, was Sie von den Privilegien Ihrer Cousine halten“, knurrte er. „Ebenso wenig, was Sie von Ihrer verhätschelten Familie denken.“ Er zwang sich, auf die gleiche kühle Art fortzufahren, um zu verdeutlichen, worum es ihm ging. Er durfte sich von dieser Frau nicht manipulieren lassen. Sie hatte zu ihm aufzusehen. „Selbstverständlich sind Sie verletzt, weil die Familie Ihnen gegenüber so gleichgültig ist. Ihr Reichtum beleidigt Sie. Doch das spielt keine Rolle. Alles, was zählt, ist Ihre gelungene Verwandlung in Larissa. Ich kann nicht zulassen, dass Sie unsere Zeit damit verschwenden, mir zu erläutern, warum Ihr Leben so viel bedeutender ist als das von Larissa und um wie viel mehr Sie sich abstrampeln mussten. Es interessiert mich nicht! Haben Sie das verstanden?
„Vollkommen!“, sagte Becca knapp. Jede Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. Er konnte Panik in ihren Augen lesen. Hass , dachte er. Das war ihm nicht neu.
Neu war allerdings, dass er am liebsten alles daran gesetzt hätte, es zu ändern.
„Wunderbar“, sagte er und versteckte sein Verlangen, sich bei ihr umgehend für seine Worte zu entschuldigen, hinter einem schmalen Lächeln. „Dann können wir ja beginnen.“
4. KAPITEL
„Sie müssen sie sehr lieben“, sagte Becca eine Woche später beim Frühstück. Ihre Worte hingen zwischen ihnen, ihr Echo schien von den Wänden der Wolkenkratzer zurückgeworfen, die rings um sie herum aufragten. Doch auf Theo Makou Garcia machte ihre Aussage ebenso wenig Eindruck wie die kühle Märzluft. Becca stocherte in ihrer Grapefruit herum und fuhr mit finsterem Blick fort: „Ich meine, wenn Sie bereit sind, so viel Zeit zu investieren, sie wieder aufleben zu lassen. Erinnert mich an Frankensteins Braut.“
„Habe ich Sie vielleicht aus lauter Einzelteilen zusammengefügt?“ Theo stellte die Frage, ohne von dem Laptop aufzublicken, den er überall mit sich herumtrug und den Becca in Verdacht hatte, seine einzige wahre Liebe zu sein. „Ich denke, mein Endprodukt wird schließlich ein wenig eleganter sein und besser aussehen als Frankensteins Resultate.“
Da war es wieder – dieses Zeichen, dass sich irgendwo unter seiner dunklen, undurchdringlichen männlichen Schönheit ein Mann mit Sinn für Humor verbarg. Manchmal hatte Becca den Eindruck, dass sie eher eines Morgens als leibhaftige Verkörperung von Larissa Whitney aufwachen könnte, als dass sie Theo einmal dabei ertappte, witzig zu sein. Oder zufrieden zu lächeln.
Dann wieder überlegte sie nicht zum ersten Mal, dass er etwas nachzutrauern schien. Offenbar waren seine Gefühle für Larissa noch immer sehr stark.
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