Julia Extra Band 366
stelle mir vor, dass Sie dafür Menschenleben zerstören und die Allmacht des Dollars predigen mussten. Und Sie mussten Ihre Seele verkaufen.“
„Die habe ich längst vorher verkauft, da können Sie sicher sein. Aber das ist zu lange her, als dass es uns heute noch beschäftigen sollte.“
Sie hatten sie mit dem Privatjet abholen wollen, doch Becca hatte auf einem Linienflug bestanden. Vielleicht war es das letzte Mal, dass sie normal leben konnte. Und wahrscheinlich war es auch ihr letzter Versuch gewesen, sich aufzulehnen.
Während des Fluges hatte sie Zeit gehabt, über das Kommende nachzudenken. Sie war dabei, in die Welt der Whitneys einzutauchen, um die Zukunft ihrer Schwester zu sichern und ein Versprechen einzulösen. Aber es war mehr. Sie würde sich ein für alle Mal beweisen, dass es besser gewesen war, abgewiesen und ignoriert zu werden. Nie mehr würde sie sich fragen, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn ihre Mutter in New York geblieben wäre oder ob Carolines Opfer vergebens gewesen war.
Mit dieser Sicherheit im Herzen würde sie die vergiftete Glitzerwelt der Whitneys wieder verlassen – und dafür konnte sie fast jede Demütigung in Kauf nehmen. Beinahe spürte sie so etwas wie Vorfreude, als sie dem Flugzeug entstieg.
Dass ein schwarz gekleideter Chauffeur ihr Gepäck genommen und sie zu der Limousine geleitet hatte, war trotz allem beeindruckend gewesen. Dass auch Theo in der Limousine sein würde, hatte sie nicht erwartet. In dem dunklen Anzug, der seine kraftvolle Silhouette betonte, sah er immer noch so bedrohlich und abweisend aus, dass es ihr den Atem raubte. Seine Augen waren auf sie gerichtet, bis sie glaubte, innerlich zu verbrennen.
Ihr Herz klopfte wild und ihre Glieder fühlten sich zittrig an. Sie war alleine mit diesem Mann in einem engen, abgeschlossenen Raum!
Er beobachtete sie für einige Sekunden, dann bildete sich ein schmales Lächeln um seinen Mund. „Ich habe keine Ahnung, wie Sie zu Ihrer schlechten Meinung über mich gekommen sind!“, bemerkte er schließlich. „Wir kennen uns doch kaum!“
„Sie haben mich eben sehr beeindruckt“, sagte Becca ehrlich und wünschte, es wäre nicht so.
„Sie sollen ja auch beeindruckt sein“, erklärte er süffisant. „Wenn nicht gar vollkommen eingeschüchtert.“
„Oh, das bin ich“, gab Becca zurück. Sie zwang sich, daran zu denken, warum sie hier war. „Sie werden es nicht glauben, aber von Ihrem Dünkel und Ihrer Arroganz bin ich stärker beeindruckt und eingeschüchtert als von Ihrer eingebildeten Großartigkeit.“
Theo lächelte. „Ich werde es mir merken“, sagte er nur. Sein Blick wurde wärmer, woraufhin sich auch in Becca ein Gefühl der Wärme ausbreitete. Kurz fragte sie sich, wie es wohl wäre, wenn dieser Mann nicht zu den Feinden gehörte.
Um sie herum schien sich die Luft zusammenzuziehen.
Nach kurzem, angespanntem Schweigen meinte Theo schließlich: „Unter der Oberfläche sind wir alle komplizierter als es aussehen mag. Sie täten gut daran, sich das zu merken.“
„Ich bin ganz und gar nicht kompliziert.“ Becca lehnte sich in ihrem Sitz zurück und schlug die Beine übereinander. Ein seltsamer Anflug von Stolz befiel sie, als Theo missbilligend ihre alten Jeans und die abgetragenen Stiefel musterte. „Sie bekommen genau das, was Sie sehen.“
„Um Gottes willen“, entgegnete Theo. „Ich hoffe doch nicht.“
Becca verbarg ihre Empörung hinter einem entzückenden Lächeln. „Ist das die Art, wie Sie die Menschen auf Ihre Seite ziehen?“, verlangte sie zu wissen. „Wenn ja, sollten Sie noch daran arbeiten.“
„Ich habe es nicht nötig, Sie auf meine Seite zu ziehen“, sagte er und sah sie fest an. „Ich habe Sie bereits gekauft.“
Theo lebte in einem Penthouse, das sich über zwei Stockwerke erstreckte. Von einem weiten, mit Marmor ausgelegten Empfangsraum öffnete sich ein weiteres Entrée. An Wänden aus weißem Ziegelstein standen Regale, die mit Kunst, Büchern und anderen Gegenständen angefüllt waren. Der Hauptraum öffnete sich nach oben über zwei Etagen. Hohe gewölbte Fenster gewährten einen freien Blick auf eine großzügige Terrasse und auf Manhattan in all seiner pulsierenden, überwältigenden Pracht.
Nie zuvor hatte sie sich ihrem Apartment in Boston ferner gefühlt. Sie war wie benommen. Menschen, die im richtigen Leben standen, konnten sich in solch einer Umgebung unmöglich wohlfühlen.
Erwartete er tatsächlich von ihr, dass sie bleiben würde? Mit
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