Julia Extra Band 366
ihm das Wort ab. Sie war bezaubernd anzusehen in einem bodenlangen Kleid von dunkler Schokoladenfarbe. Es ließ ihre Haut erstrahlen und betonte die feinen Züge ihres Gesichts und die vollen Lippen.
„Haben Sie nichts anderes zu tun, als mich ständig zu belehren?“, rief sie aus. „Sie sagen mir, wie ich zu gehen und zu stehen habe. Wie ich atmen soll. Was zu viel ist, ist zu viel.“
„Meinen Sie das Abendessen?“, fragte er trocken und sah sie über all die silbernen Platten hinweg an, angefüllt mit Speisen, von denen sie wusste, dass sie mit absoluter Perfektion zubereitet worden waren. „Ich werde dem Küchenchef von Ihrem Unmut berichten.“
„Die Speisen sind perfekt“, sagte sie seufzend. „So wie immer. Zweifellos erwarten Sie es auch nicht anders.“
Das war natürlich richtig, doch so wie sie es aussprach, hörte es sich an, als ob sie einen weiteren Makel an ihm entdeckt hätte. Doch selbst wenn sie noch tausend Fehler entdecken würde: Warum sollte ihn das, was sie von sich gab, überhaupt berühren? Sie war nichts weiter als eine Angestellte. Und doch berührte es ihn, und zwar jeden Tag mehr. Er lehnte sich zurück.
„Lassen Sie uns doch über Theater oder andere Veranstaltungen reden“, schlug er vor. „Wenn Sie ein Gesprächsthema langweilt, dann wechseln Sie es einfach!“
Ein Schatten huschte über ihr Gesicht, und als sie ihn wieder ansah, schien sie traurig zu sein.
„Was soll das alles?“, fragte sie. „Warum wollen Sie mich in eine viktorianische Jungfrau verwandeln? Wir wissen doch beide, dass Larissa alles andere war als das.“
„Ach ja?“ Er fand sie faszinierend. Nicht, weil sie Larissa so sehr ähnelte – was täglich mehr und mehr der Fall war. Sondern weil diese Ähnlichkeit ihn dazu brachte, sich auf die Eigenarten zu konzentrieren, die Becca so einzigartig machten.
„Sie tun gerade so, als sei Larissa die anständigste und vernünftigste Frau der Welt gewesen“, sagte sie und sah ihn forschend an. „Glauben Sie denn selbst daran? Sie ist gewiss nicht nur zufällig vor dem Nachtclub zusammengebrochen, Theo. Sie ist berüchtigt für ihre wilden Partys und nicht für intime, elegante Essen.“
Dass sie ihn beim Vornamen nannte, irritierte ihn.
„Sie kennen sie nicht“, sagte er barsch.
„Und Sie? Kennen Sie Larissa?“, fragte sie ihn nachdenklich. „Oder wollen Sie mich in Ihrer Fantasie zu Ihrer Wunschfrau machen? Eine, die so ist, wie Sie sich Larissa gewünscht hätten?“
Die Überraschung war größer als erwartet. Ihre Feststellung traf ihn wie ein Schlag. Das Wesen, das er erschaffen hatte, verfügte über zu viel Intuition und sah zu viel. Ihm war, als ob nichts als ihr bohrender Blick übrig geblieben wäre. Als ob sie in ihn hineinsehen und all seine Geheimnisse erraten könnte. Und als ob ihr das wehtat.
Trotz allem begehrte er sie mehr denn je.
„Spielt das eine Rolle?“ Er hatte Mühe, seine Gefühle im Zaum zu halten. „Solange Sie das bekommen, was Sie sich vorgestellt haben?“
Becca schüttelte den Kopf, als wollte sie einen Anflug von Verbitterung abschütteln, obwohl Theo sich dieses Gefühl nicht erklären konnte. Sie war hier nur Gast. Eine Fremde. Sie war diejenige, die unbeschadet davonkam, wenn das alles vorüber war, während er selbst seinen schalen Sieg feiern würde. Allerdings ohne den Hauptpreis. Denn selbst wenn Larissa überleben und ihn wie versprochen heiraten würde, könnte er sich ihrer niemals sicher sein.
„Reicht es denn nicht aus, Vorstandsvorsitzender solch eines Unternehmens zu sein?“, fragte sie befremdet. „Müssen Sie auch noch die Gesellschaft besitzen ?“
Plötzlich musste Theo aufstehen und zu ihr treten. Warum nur hatte er das Bedürfnis, sie zu berühren?
„Sie haben mich komplett durchschaut, nicht wahr?“ Er fühlte sich von ihr angezogen. Von dem Gefühl, mit dem die Luft aufgeladen war, von der scharfsinnigen Intelligenz in ihren haselnussfarbenen Augen. Er war sich schmerzlich bewusst, dass er nie mit dieser Frau zusammen sein konnte. So viele Dinge hatte er bereits seinem Ehrgeiz geopfert … „Sie haben mich eingeschätzt und sofort Ihr Urteil gefällt, nicht wahr?“
„Warum können Sie das arme Mädchen nicht in Ruhe lassen?“ Beccas Stimme klang heiser und er wusste, woran das lag – an seiner Nähe. Ihm erging es doch genauso. Er war ihr viel zu nah, um es nicht zu spüren. Er betrog sich selbst, hinterging Larissa und brach all die Versprechen, die er gegeben
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