Julia Extra Band 367
sich plötzlich nicht sicher, ob das Wasser da unten auch tief genug war? Vermutlich nicht. Aber die meisten Bräute kannten ihren zukünftigen Ehemann auch viel besser als sie Ciro kannte.
Eigentlich hatte sie erwartet, dass er gleich, nachdem sie eingewilligt hatte, ihn zu heiraten, darauf drängen würde, mit ihr zu schlafen. Überraschenderweise wollte er aber bis zur Hochzeitsnacht warten. Wie er sagte, hatte es ihn beeindruckt, dass sie ihn, anders als all die anderen Frauen, denen er bislang begegnet war, abgewiesen hatte. Und dass er es als eine erregende Herausforderung betrachtete, auf sie zu warten, weil er sie mit jedem Tag, der verging, mehr begehrte.
Nun ja, das Wartespiel war jetzt fast vorbei. Heute Nacht war die große Nacht, in der sie wirklich im ursprünglichsten Sinn vereint sein würden. Lily wünschte nur, dass endlich diese schrecklichen Vorahnungen verschwinden würden. Dieses Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Lag es vielleicht daran, dass sie bislang noch nicht den Mut aufgebracht hatte, Ciro von ihrer Beziehung mit Tom zu erzählen, obwohl Tom ja keinerlei Rolle mehr in ihrem Leben spielte? Immer wieder hatte sie es aufgeschoben, weil sie auf die sonnige Zeit vor der Hochzeit keinen Schatten werfen wollte. Und jetzt hatte sie es so lange aufgeschoben, dass es zu spät war. Der Tradition nach sollte die Braut den Bräutigam nicht einmal mehr sehen, bis sie am Altar mit ihm zusammentraf. Was konnte sie also tun? Ihm schnell noch eine SMS schicken, dass sie früher einmal mit einem anderen Mann verlobt gewesen war?
„Ich weiß wirklich nicht, ob ich das durchstehe, Dani“, flüsterte sie.
„Aber natürlich wirst du.“ Lächelnd zupfte Danielle den Rock ihres zartrosa Brautjungfernkleides zurecht. „Denn in einer Kirche ganz in der Nähe wartet im Moment ein Traummann auf dich. Sieh es einmal aus dieser Sicht. Du befindest dich in einer wunderschönen Stadt, wohnst in einem traumhaften Fünfsternehotel mit Blick auf die Bucht, einem Hotel, das zufällig auch noch dem Mann gehört, der bald dein Ehemann sein wird. Lieber Himmel, du bist in Neapel … und stehst im Begriff, einen der bekanntesten Bürger dieser Stadt zu heiraten! Wenn schon jede normale Braut nervös wird, bevor sie den Gang zum Altar antritt, dann hast du noch viel mehr Grund dazu.“
„Meinst du?“
„Natürlich! Du bist hier fremd, und es wird eine ganze Weile dauern, bevor du das Gefühl hast, dazuzugehören. Erwarte einfach nicht zu schnell zu viel.“
Erneut berührte Lily die Perlen an ihrem Hals. „Ich glaube, seine Mutter mag mich nicht.“
„Wie kommst du darauf?“
Lily dachte daran, wie Leonora D’Angelo sich bei ihrem Antrittsbesuch mit Ciro ihr gegenüber verhalten hatte. Kühl hatte sie ihr die Wangen zum Kuss präsentiert, bevor sie ihre künftige Schwiegertochter von Kopf bis Fuß musterte. Unter diesem abschätzenden Blick der zarten eleganten Dame in dem riesigen Sessel hatte Lily sich wie ein Bauerntrampel gefühlt. Darüber hinaus glaubte sie, eine seltsame Kälte zwischen Mutter und Sohn zu beobachten. Ciro schien seiner Mutter eher mit Pflichtgefühl als mit Zuneigung zu begegnen. Aus irgendeinem Grund hatte das Lily einen Heidenschreck eingejagt, obwohl sie nicht wusste, warum.
„Sie schien mich zu missbilligen“, erklärte sie.
„Da bin ich aber erleichtert“, meinte Danielle lachend. „Keiner Mutter auf der ganzen Welt ist die Braut ihres Sohnes gut genug … das ist ein Gesetz. Mütter sind immer wahnsinnig eifersüchtig – bis der ersehnte Enkel geboren wird, der ihnen den Sohn ersetzt.“
Lily betrachtete nachdenklich den mit einem Saphir und Diamanten besetzten Verlobungsring an ihrer Hand. Da Ciros Mutter genauso perfekt Englisch sprach wie ihr Sohn, konnte sie nicht einmal die Sprachbarriere für die angespannte Atmosphäre bei ihrem Besuch verantwortlich machen. Aber sie hatte sich einfach fehl am Platz gefühlt. Als ob sie mit ihrem blassen englischen Teint und ihren weiblichen Rundungen niemals in die elegante Welt der Reichen und Schönen passen würde, in denen die D’Angelos zu Hause waren.
Wenn sie jedoch ehrlich war, dann bot ihr nicht nur Leonora D’Angelos Einstellung Anlass zur Sorge. Auch Ciros Cousin Guiseppe, der Trauzeuge sein würde, schien ihr gegenüber Vorbehalte zu hegen. Von Ciro wusste sie, dass er und sein Cousin sich so nahe standen wie Brüder. Aber während eines gemeinsamen Abendessens hatte der gutaussehende Guiseppe sie mit seinen
Weitere Kostenlose Bücher